Leitartikel Der Koalitionsfrieden lässt sich nicht mehr kaufen

Mancher in der Union hat vielleicht schon den Moment verflucht, als man den Sozialdemokraten in der großen Koalition das Finanzministerium überließ. Aber zum Zeitpunkt der Koalitionsverhandlungen Anfang letzten Jahres herrschten eben noch paradiesische Verhältnisse.

Kommentar zum Hausahltsentwurf von Scholz: Koalitionsfrieden lässt sich nicht mehr kaufen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Es regnete förmlich Steuergeld vom Himmel. Und der vormalige Kassenwart Wolfgang Schäuble konnte im Prinzip alle Ausgabenwünsche befriedigen, egal ob sie schwarz oder rot motiviert waren. Die Aussicht, aus dem Vollen schöpfen zu können, war sozusagen das Schmiermittel der alten wie der der neuen Groko. Mit dem vielen Geld wurden freilich auch ihre Gegensätze verkleistert. Nun, da die Hochkonjunktur auf Normalmaß schrumpft, treten im Regierungslager die Verteilungskonflikte wieder stärker zu Tage. Schäubles Nachfolger Olaf Scholz muss auf die Ausgabenbremse treten. Und er tut das nicht ohne parteipolitische Hintergedanken, was viele in der Union schäumen lässt.

Wer sich den aktuellen Koalitionsvertrag anschaut, merkt schnell, dass er nicht für schwieriger werdende Zeiten gemacht ist. Unter dem Stichwort „Prioritäre Ausgaben“ werden viele zusätzliche Milliarden für Familien, Ganztagsschulen, Wohnungseigentümer und andere soziale Belange verteilt. Mit der weitgehenden Abschaffung des Solidaritätszuschlags ist auch an die Steuerzahler gedacht. Zudem hat die Groko in der Regierungsvereinbarung gelobt, ihren internationalen Verpflichtungen bei den Ausgaben für Verteidigung und Entwicklungshilfe nachzukommen. Und über allem schwebt die „schwarze Null“, also der Vorsatz, weiter ohne neue Schulden zu wirtschaften.

In der jetzigen Lage ist das nicht mehr alles bezahlbar. Das zeigt schon ein Vergleich bei der Ausgabendynamik: Zwischen 2014 und 2018 wuchs der Bundesetat um fast 18 Prozent. Von 2019 bis 2023 sind es nach Scholzens Planung nur gut fünf Prozent. Das ist zwar immer noch relativ viel, aber für den Koalitionsfrieden viel zu wenig. So entzündet sich der Streit daran, dass Scholz die Verpflichtungen bei Verteidigung und Entwicklung für unfinanzierbar hält, aber gleichzeitig vorgibt, für die Kosten der noch nicht gesetzlich fixierten Grundrente (ein Lieblingsprojekt der SPD) gerüstet zu sein. Das ist in der Tat kaum nachvollziehbar. Genauso wenig wie auch die Tatsache, dass die Investitionsquote im Bundeshaushalt nach seiner Finanzplanung bis 2023 kontinuierlich schrumpfen soll.

Gerade an dieser Stelle zeigt sich, dass die große Koalition nicht mehr zu einem großen politischen Wurf in der Lage ist. „Wir fahren auf Sicht“, lautet dann auch ein häufig zitierter Satz aus dem Finanzministerium. Bei einem Kassenwart von der Union wäre das freilich kaum anders. Nach ihrer für den Herbst terminierten „Bestandsaufnahme“ zum Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD womöglich nichts mehr zu sagen. Denn auf die wachsenden Herausforderungen in einem wirtschaftlich schlechter werdenden Umfeld sind sie nicht vorbereitet. Das müssen dann womöglich andere lösen.

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