Immer Sommerzeit? Ende der Zeitumstellung kann vielen auf den Zeiger gehen

Ein Mann, ein Wort. Die Menschen wollen das, also machen wir das, sagt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Allerdings, „die“ Menschen wollen die Abschaffung der Zeitumstellung schon mal gar nicht.

Ende der Zeitumstellung schafft neue Probleme
Foto: SZ/Roby Lorenz

Sondern zunächst mal nur jene 4,6 Millionen, die sich an einer Online-Befragung der EU-Kommission beteiligt haben. Das ist ein Prozent der europäischen Bevölkerung. Unter den Teilnehmern sind zwei Drittel Deutsche, was zeigt, dass die Zeitumstellung den Leuten hier besonders auf den Zeiger geht. Im Umkehrschluss freilich bedeutet das: Die anderen Europäer interessiert die Sache kaum. Oder sie kommen ganz gut klar mit Sommer- und Winterzeit.

In einem hat Juncker Recht: Wer die Bürger befragt, kann hinterher nicht so tun, als sei ihm das Ergebnis egal. Es entsteht ein Zugzwang, egal wie viele teilgenommen haben. Außerdem darf man davon ausgehen, dass die Zahl derjenigen, die die Abschaffung unterstützen, in Wirklichkeit größer ist.

Abschaffung der Zeitumstellung bedeutet zunächst mal Abschaffung der Sommerzeit. Denn die Winterzeit ist die Normalzeit. Sie war es in Europa, bevor man auf die Idee kam, an der Uhr zu drehen, um Energie zu sparen. Was bekanntlich nicht funktioniert hat. Stattdessen gerät bei vielen nur der Biorhythmus durcheinander. Das Problem ist freilich, dass es bei der Befragung noch eine zweite Mehrheit gab, besonders unter den Deutschen: für die Sommerzeit als generelle neue Zeit.

Das hat gute Gründe. Auch die Deutschen finden es nämlich gut, dass es abends noch so lange hell ist. Spätestens seit dem WM-Sommermärchen 2006. Grillen mit der Familie, nach der Arbeit noch ins Freibad, Biergarten, Balkon. Es ist ein ganz anderes Lebensgefühl. Ohne Sommerzeit würden in Berlin heute schon gegen 19 Uhr die Straßenlaternen angehen, Herbststimmung. In Aachen um halb acht. Dabei sind mancherorts noch Ferien.

Die Leute wollen also beides: Abschaffung und Beibehaltung. Da wird es schwierig für die Politik. Es ist unwahrscheinlich, dass die Lösung in unterschiedlichen Zeiten innerhalb der EU liegen wird. Das will keiner. Eine Differenz zwischen Deutschland und Frankreich zum Beispiel wäre für den kleinen Grenzverkehr eine ziemliche Katastrophe. Zwischen Frankreich und Spanien auch. Andererseits würde die dauerhafte Beibehaltung der Sommerzeit in ganz Europa im Winter zu einem Zwei-Stunden-Sprung gegenüber England und Portugal führen. Das lehnen vor allem die Westeuropäer ab.

Nach Lage der Dinge wird also, wenn die Zeitumstellung abgeschafft wird, mit großer Wahrscheinlichkeit die ungeliebte Winterzeit für alle kommen. Und die Befragung der Bürger wird als ein weiteres Beispiel dafür in die Geschichte eingehen, dass nicht jedes Plebiszit zu dem Ergebnis führt, das die Teilnehmer gewollt haben. Ähnlich wie beim Brexit. Daher der Rat bei jeder Stimmabgabe, besonders an Wutbürger aller Art und Zeitzonen: Vorher nachdenken.

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