Gleichstellungsbericht Der Weg zu gleichen Chancen bleibt ein Marathon

Meinung · Die einen würden sich gern stärker um ihr Kind kümmern, die anderen wollen möglichst schnell wieder ins Berufsleben zurückkehren. Manche gleich volle Pulle wie vor der Schwangerschaft, andere gern mit reduzierter Arbeitszeit, um sie erst später wieder aufzustocken. Die individuellen Vorstellungen für ein gedeihliches Familienleben sind in Deutschland vielfältiger denn je und werden es auch immer bleiben. Aufgabe der Bundesregierung kann es deshalb nicht sein, den Menschen ein bestimmtes Lebensmodell vorzuschreiben.

Aber die Bundesregierung kann dafür sorgen, dass es überhaupt eine Wahl zwischen bestimmten Lebensmodellen gibt, indem sie umfassende politische Rahmenbedingungen dafür schafft. Vor allem im Hinblick auf einen Nachteils­ausgleich für Frauen. Hier bleiben sicher noch dicke bis sehr dicke Bretter zu bohren. Aber die schwarz-rote Bilanz ist an dieser Stelle auch nicht so miserabel, wie es die Opposition aus dem gestern vorgestellten Gleichstellungsbericht herausliest.

Vor sechs Jahren wurde das erste Dokument dieser Art veröffentlicht. Seitdem ist einiges passiert. Eingeführt wurde zum Beispiel ein längeres Elterngeld. Auch der Mindestlohn verbessert die Situation vieler Frauen, denn überdurchschnittlich oft arbeiten sie in Dienstleistungsberufen, von denen ein großer Teil bekanntlich vergleichsweise mies bezahlt wird. Das neue Gesetz für mehr Lohntransparenz ist ebenfalls ein Betrag zur öffentlichen Sensibilisierung für die Ungleichheit der Geschlechter im Arbeitsleben.

Auf der politischen Habenseite steht darüber hinaus die Familien-Pflegezeit mit einem Rechtsanspruch auf vorübergehende Freistellung wegen eines pflegebedürftigen Angehörigen. Obendrein wird die Kinder-Erziehung bei der Rente stärker berücksichtigt. Und wäre es allein nach der SPD gegangen, dann hätte sich noch deutlich mehr bewegt. Es sind vor allem Frauen, die verstärkt in Teilzeit arbeiten. Viele freiwillig. Viele allerdings aber auch unfreiwillig. Für sie wollten die Sozialdemokraten ein Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit durchsetzen, so wie es dieses Recht auch schon in umgekehrter Richtung gibt. Doch die Union stellte sich quer. Auf diese Weise bleiben nicht nur individuelle Lebensmodelle unverwirklicht. Viele Unternehmen verschließen die Augen vor ungenutzten Potenzialen. Das Thema ist daher auch im Wahlkampf nicht zu unterschätzen. Die SPD wird dafür sicherlich lautstark trommeln.

Nötig bleibt allerdings auch ein weiterer Bewusstseinswandel. Der Mann als Ernährer, die Frau für die Kinder – diese Zeiten sind in ihrer Absolutheit zwar vorbei. Aber wenn Frauen nur Zuverdiener sind, obwohl sie gern mehr sein würden, erregt das auch keinen größeren Anstoß. Man(n) hat sich eingerichtet. Der Bundesfamilienministerin ist daher zuzustimmen, wenn sie die Gleichstellung der Geschlechter als „Marathonlauf“ versteht. Da sollte die Politik weiter für die notwendige Vitaminzufuhr sorgen. Die Handlungsanleitung findet sich im aktuellen Regierungsbericht.

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