Leitartikel Taumelnde May kann ihr Land mit in den Abgrund reißen

Die Brexit-Politik der britischen Regierung ist fürs erste gescheitert. Während in Großbritannien die EU-Skeptiker seit Jahren darüber schwadronieren, wie sie durch den EU-Austritt die Kontrolle zurückgewinnen wollen, ist nach dem EU-Gipfel  nun das Gegenteil eingetreten: Die Machtübernahme der Europäischen Union.

Brexit: Taumelnde May kann ihr Land mit in den Abgrund reißen
Foto: SZ/Robby Lorenz

Das liegt vor allem an der britischen Premierministerin Theresa May. Sie wurde beim jüngsten Gipfel in Brüssel vorgeführt wie ein unvorbereiteter Schüler bei einer mündlichen Prüfung. Die Staats- und Regierungschefs der EU27 haben sie zum Nachsitzen in ihr Land zurückgeschickt. Und dürfen jetzt aus der Ferne beobachten, wie sich der letzte Akt des äußerst unschönen Dramas auf der Insel entfaltet.

Denn es wäre nichts weniger als ein Wunder, wenn May die kommende Woche politisch überlebte. Sollte das Parlament in London wie erwartet zum dritten Mal den Austrittsdeal ablehnen, muss May gehen. Die Frage ist nur, ob sie sich freiwillig zurückziehen oder ob sie das Land in ein noch größeres Chaos stürzen wird, indem sie es zu Misstrauensvotum und Neuwahlen kommen lässt – mit völlig unklaren Folgen für den Brexit.

Mitleid muss mit dieser Premierministerin aber niemand haben. Natürlich waren es andere, die vor dem Referendum mit Lügen und falschen Versprechen viele Briten zum Brexit verführt haben. Aber May als Regierungschefin hat alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Und scheint in einer Blase zu leben, in der sie nichts und niemanden wahrnimmt. Abgehoben von der Realität und entrückt vom eigenen Volk wandelt sie umher und knickt immer dann ein, wenn die Brexit-Hardliner in ihrer Partei mal wieder schäumen, was dieser Tage ständig vorkommt. Parteiwohl sticht für die loyale Konservative selbst in diesen für ihr Land existenziellen Krisenzeiten das Allgemeinwohl. Das zeugt von schlechter Urteilsfähigkeit und mangelndem politischen Talent. Wer bitteschön berät diese Frau? Oder will sie nicht hören?

So hatte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ihr empfohlen, in dem Brief, mit dem sie bei der EU um eine Verlegung des Austrittsdatums bat, keinen konkreten Termin zu nennen – auch um sich selbst Verhandlungsspielraum zu bewahren. Sie ignorierte zur allgemeinen Fassungslosigkeit den Rat des erfahrenen EU-Politikers. Befremden löste auch ihre Brandrede vom Mittwoch aus, die bestenfalls als peinlich bezeichnet werden darf. May hatte das Parlament für die Verzögerung des EU-Austritts verantwortlich gemacht und die Abgeordneten als „unfähig“ bezeichnet. In einem ohnehin überhitzten Klima die gewählten Volksvertreter so anzugreifen, ist ungeschickt, bitter und gefährlich.

May hat das Kunststück fertiggebracht, alle gegen sich aufzubringen: die EU, das Parlament, die Bevölkerung. Isoliert und gezeichnet gibt sie zwar noch vor zu kämpfen wie ein taumelnder Boxer kurz vor dem Knockout. Doch Theresa May ist längst geschlagen. Zu hoffen ist, dass sie bei ihrem Sturz nicht ihr Land mit in den Abgrund eines harten Brexit reißt.

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