Leiden am und Lieben im System

Saarbrücken. Alles war gesagt über die Beschaffenheit von Welt und Menschen, vieles musikalisch ausprobiert, also erklärte Jochen Distelmeyer 2007 das Werk für vollendet und die Band für aufgelöst

Saarbrücken. Alles war gesagt über die Beschaffenheit von Welt und Menschen, vieles musikalisch ausprobiert, also erklärte Jochen Distelmeyer 2007 das Werk für vollendet und die Band für aufgelöst.

17 Jahre und sechs Alben lang hatte die Band Blumfeld sich im weiten Feld aus Politik, Philosophie, Musik und Literatur herumgetrieben, das schlechte Gewissen der deutschsprachigen Musikszene gegeben, protestiert und polarisiert, mit aggressivem Indierock anfangs und geschmeidigen Schlagerpop später. Eine große, einflussreiche Band in der Ahnenfolge von Ton Steine Scherben und den Fehlfarben, die "Musik für eine andere Wirklichkeit" schuf, verließ damit die Bühne. Was soll da noch kommen?

Die gute Nachricht: Blumfelds Popstar Jochen Distelmeyer macht weiter, und zwar nicht als Schriftsteller, sondern als Musiker. Jetzt meldet er sich mit seinem Soloalbum "Heavy" zu Wort. "Ein Oldie feiert sein Comeback, die Leute finden's funky", davon singt der 42-Jährige im Song "Hiob", und zur Feier seiner Wiederkehr bläst er fürs Cover einen rosaroten Kaugummi auf - groß wie einen Luftballon. Der Mann versteht noch immer das Spiel mit den Assoziationen. Der große Knall, ein geplatzter Traum, viel heiße Luft, bevor er sich die klebrigen Reste maskengleich abzieht. Eine Häutung, die, will man das Bild weiter bemühen, dem Künstler sehr gut zu Gesicht steht. Denn das ist die andere gute Nachricht: Des Künstlers Album ist eine Glanzleistung, leicht und schwer, energisch und sanft, mit poetisch verdichteten Texten und druckvoller Musik, mit Gefühl und Verstand. Wo Blumfeld draufsteht, ist Distelmeyer drin, aber wo Distelmeyer draufsteht, ist mehr als Blumfeld zu haben.

Das alte Thema " Leiden am und Lieben im System" lässt Distelmeyer nicht los. Doch übers Verlorensein, die Wut auf die Verhältnisse, das kleine Glück singt er so ergreifend, dass momentan niemand zu sehen ist, der es besser könnte.

Jochen Distelmeyer: Heavy (Columbia/Sony)

Am 10. 11. spielt Distelmeyer in Trier. Info und Karten: www.jochendistelmeyer.de

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