Lebenswege Sie waren einander die Liebe des Lebens

Homburg · Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörigen und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorbener vor. Heute: Anita und Fred Dittgen.

  Anita und Fred Dittgen im Juli 1954 in der Saarlouiser Straße in Niedersalbach – er wusste beim ersten Treffen schon, dass er sein Leben mit ihr verbringt.

Anita und Fred Dittgen im Juli 1954 in der Saarlouiser Straße in Niedersalbach – er wusste beim ersten Treffen schon, dass er sein Leben mit ihr verbringt.

Foto: Familie Dittgen

Gibt es die echte, wahre Liebe auf den ersten Blick? Eine große Liebe, die ein Leben lang besteht? Die so stark ist, dass, wenn der Tod sie scheidet, der Zurückgebliebene sich nur noch als die Hälfte eines zersprungenen Ganzen fühlt? Ja, es gibt sie.

Es geschah in Walpershofen 1951. Der gerade 18-jährige Frederic Dittgen aus Niedersalbach war mit einem Kumpel zum Tanzen ins Gasthaus „Beim Fenner“ gekommen. Das Gasthaus existiert noch, es ist das heutige Restaurant Hirchenhahn. Da sah Frederic, wie Anita Bettinger, damals gerade süße 16, mit ihrer Cousine Christel den Saal betrat. „Das ist sie! Die werde ich heiraten“, verkündete er. Sein Kumpel hat ihn belächelt, doch der junge Fred, wie er genannt wurde, ließ die 16-jährige Anita nicht aus den Augen. Er verfolgte sein Ziel hartnäckig, obwohl er bei Anita offene Türen einrannte.

Schnell wurden sie ein Paar, und zwei Jahre später waren sie auch verheiratet, wie Frederic vorausgesagt hatte. Gegen etliche Widerstände. Beide waren noch nicht volljährig. Zudem war Frederic katholisch getauft und Anita evangelisch, was in den frühen 50er-Jahren auf dem Land einem kleinen Skandal gleichkam. Darüber hinaus kam ihr Erstgeborener Fredy schon wenige Monate nach der Hochzeit zur Welt! Weiterer Nachwuchs ließ nicht lange auf sich warten. Der zweite Sohn, Haimo, erblickte 1954 das Licht der Welt, Tochter Marie-Luise im Sommer 1955. Später, 1969, kam dann noch Tochter Simone als Nachzüglerin.

Die junge Familie war glücklich. Fred zog zu seiner Anita nach Walpershofen. Sie lebten dort mit deren Eltern und der Großmutter unter einem Dach. Klar, das Geld war knapp in den 50ern, aber die beiden jungen Leute haben immer etwas dazu verdient. Mutter Anita als Putzhilfe in der örtlichen Zahnarztpraxis, wo Vater Fred sich um den Garten gekümmert hat. Sohn Fredy Dittgen erinnert sich: „Eines Tages kam mein Vater heim, strahlte übers ganze Gesicht und verkündete, er bekomme jetzt 800 Mark Gehalt.“ Denn Frederic Dittgen hat nicht nur mit Anita die Liebe seines Lebens gefunden, er hat darüber hinaus auch die zweite große Liebe seines Lebens zum Beruf gemacht: das Gärtnern. Als Gärtner bei der Stadt Saarbrücken war er federführend bei der Gestaltung des deutsch-französischen Gartens und dort bis zur Pensionierung Leiter des Bauhofes. Den großen Garten hinterm Walpershofer Haus habe er im Lauf der Jahre vom ländlichen Nutzgarten in einen regelrechten kleinen Park verwandelt, sagt Sohn Fredy.

Es waren gute Jahre für die junge Familie. „Wir hatten die besten Eltern, die man sich vorstellen kann. Wir sind behütet und geliebt aufgewachsen, aber wir wurden nicht überbehütet“, erinnert sich Fredy Dittgen. Kennzeichnend für sein Elternhaus sei die große Liebe zwischen seinen Eltern gewesen, die sich Tag für Tag in kleinen Liebesbezeugungen wie Küssen und Umarmungen gezeigt habe. Fredy Dittgen kann sich an keinen einzigen Streit oder auch nur ein hartes Wort zwischen dem Paar erinnern.

Auch was die Hobbys des Paares betraf, waren sie sich einig. Gemeinsam war beiden die Leidenschaft zum Wandern. In den 60er- und 70er-Jahren hat das Paar gemeinsam das ganze Saarland erwandert. Davon zeugte eine Wand im Wohnzimmer der Familie, an der die erwanderten Trophäen ausgestellt waren. Auch als sich Frederic Dittgen später dem Fußball zugewandt hat und viele Jahre im Vorstand der Sportsfreunde Obersalbach tätig war, war Anita begeistert dabei und hat mit zwei Freundinnen das Clubhaus der Sportsfreunde gemanagt. Bekannt war Fred Dittgen damals als „Der Mann mit dem Koffer“, da er als erster im Saarland einen sogenannten Deuser-Koffer mit Material für die erste Hilfe am Spielfeldrand stehen hatte, um verletzten Spielern gleich vor Ort helfen zu können.

Das Paar war weithin beliebt, und gerade bei Familienfesten war richtig was los im Dittgenschen Haus, wenn die Geschwister von Frederic und Anita mit ihren Familien zu Besuch waren. Acht Enkel, über die sie sich riesig gefreut haben, hat das Ehepaar übrigens bekommen.

1999 hat jedoch das Schicksal zugeschlagen. Nach einer Operation kam es bei Anita Dittgen zu Komplikationen. Nach 90 Tagen im künstlichen Koma kehrte sie als Schwerstpflegefall nach Hause zurück, musste künstlich beatmet werden und konnte nicht mehr gehen. Frederic Dittgen hat wie selbstverständlich die Pflege seiner geliebten Frau selbst übernommen. 24 Stunden am Tag, acht lange Jahre, bis Anita Dittgen am 9. Juli 2007 nach einer erneuten Komplikation starb. Für diese Leistung wurde Frederic Dittgen 2008 mit der Pflegemedaille des Regionalverbandes Saarbrücken ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die er lieber nicht gehabt hätte: „Lieber als eine Medaille wäre mir meine Frau“, erklärte er schlicht. Der Tod seiner geliebten Anita hinterließ Spuren: Innerhalb weniger Wochen erlitt Fred Dittgen einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall und war danach körperlich so geschwächt, dass er von seinen Kindern, vor allem von Tochter Marie-Luise, betreut werden musste. Das Haus zu verlassen, in dem er einst mit Anita viel Glück erlebt hatte, kam ihn nicht in den Sinn. Erst drei Jahre später konnten ihn seine Kinder überzeugen, in ein Pflegeheim umzuziehen. Dort ist er wieder ein wenig aufgeblüht und hat sich noch einmal ehrenamtlich engagiert: im Bewohnerbeirat und bei der Betreuung dementer Mitbewohner. Am 13. Oktober 2013 ist er dort an den Folgen eines Diabetes gestorben.

Auf der Seite „Momente“ stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorbener vor. Online unter saarbruecker-­zeitung.de/lebenswege

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