Leben und Lieben spät entdeckt

Der gute alte "Schmidtie" ist wieder da, den aber nur seine Freundinnen und Freunde so nennen dürfen. Dieser angesehene New Yorker Wirtschaftsanwalt Albert Schmidt gehört zu den prominenten Helden aus der Romanwelt des ansonsten überaus diskreten Louis Begley, der sich Anfang der neunziger Jahre mit "Lügen in Zeiten des Krieges" in die Weltliteratur eingeschrieben hat

Der gute alte "Schmidtie" ist wieder da, den aber nur seine Freundinnen und Freunde so nennen dürfen. Dieser angesehene New Yorker Wirtschaftsanwalt Albert Schmidt gehört zu den prominenten Helden aus der Romanwelt des ansonsten überaus diskreten Louis Begley, der sich Anfang der neunziger Jahre mit "Lügen in Zeiten des Krieges" in die Weltliteratur eingeschrieben hat. Begley interessiert sich in seinen Gesellschaftsromanen vor allem für das Ostküsten-Milieu alternder Anwälte und Finanzleute, die ihrem Lebensabend und Tod entgegen sehen und sich mit der trüben Erkenntnis herumschlagen, vergeblich um die Achtung einer Gesellschaft gekämpft zu haben, die ihnen im Grunde ihres Herzens ziemlich schnuppe ist. "Mistlers Abschied" oder "Der Mann, der zu spät kam" inkarnieren diesen Typus eleganter und hochgebildeter Herrschaften, deren meist jüdischer Hintergrund die Frage nach der gesellschaftlichen Dazugehörigkeit thematisiert. Und dieses Befragen der eigenen Identität mit ihrem Jüdischsein stellt auch "Schmidtie" vor die Alternative, sich entweder tödlicher Einsamkeit auszuliefern oder in jenes Milieu zurückzukehren, dessen polierte Fassade ihm die Brüche seines eigenen Lebens bewusst macht."Schmidtie", dieser liebenswerte Bonvivant, stellt sich dabei auch die Frage, ob er nach dem Tod seiner Frau und in Anerkenntnis seines Alterns noch einmal ein neues Leben versuchen soll. Welche Möglichkeiten bleiben einem Mann seines Zuschnitts, der materiell jedenfalls keinerlei Sorgen hat, sich aber um Potenz und Attraktivität sorgt? Auch scheint nur vordergründig bei "Schmidtie" alles in Ordnung zu sein. Mit Tochter und Schwiegersohn liegt er über Kreuz. Die jugendliche Freundin von einst heiratet einen Jüngeren, lässt sich aber samt Kind und Kegel weiter von dem gutmütigen "Schmidtie" aushalten, während die Ehe der Tochter in die Brüche geht und die angeheiratete Verwandtschaft ihm Antisemitismus vorwirft. Zum Glück gibt es da die etwa 50jährige Alice, Literaturagentin in Paris, die "Schmidtie" von früher her kennt. Leider ist diese Dame liiert mit einem widerwärtigen Bulgaren, so dass es erst nach dessen Hinscheiden zum "Ehegelübde in moderner Form" kommt.

Damit endet dieser neue "Schmidtie"-Roman von Louis Begley. Aber was sich über weite Strecken wie erhobene Herzensergießungen für angejahrte Wüstlinge ausnimmt, hat doch etwas von jener großartigen Schriftstellerei, wie man sie aus der von "Schmidtie" auch bemühten Balzac-Lektüre zu kennen glaubt. Und wenn die früheren Bücher von Louis Begley oft mit bösen Pointen schließen, so öffnet sich jetzt für "Schmidtie" eine neue, offene Zukunft. Allerdings muss sich der Leser vor diesem Einblick in die Prozedur einer Lebensrückeroberung auf heftige Erschütterungen gefasst machen. Die Tochter verliert ihr Kind und vergräbt sich in einem suizidären Hass gegen Gott und die Welt. Und die geliebte Alice lässt unseren hasenfüßigen "Helden" immer wieder zappeln. Und was macht "Schmidtie" in all diesen Turbulenzen? Er stürzt sich in dieses und jenes Abenteuer und trainiert so seine Virilität, die auch Alice am Ende fröhlich stimmt. Was wir aus dieser Geschichte lernen: Alter muss nicht unbedingt ein Massaker sein, wie Philip Roth das einmal geschrieben hat. Es kann auch zu neuen Einsichten führen. Jedenfalls, wenn der Autor Louis Begley heißt.

Louis Begley: Schmidts Einsicht, 415 S., 22, 90 €.

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