„Leben im Gehäuse“

Hat Bernhard Schlink, Autor von „Der Vorleser“, bei Erzählungen ein glücklicheres Händchen als bei Romanen? Sein jüngster, „Die Frau auf der Treppe“, lässt es vermuten.

Vor 30 Jahren sah Bernhard Schlink im Kölner Museum Ludwig Gerhard Richters Gemälde "Ema. Akt auf einer Treppe". Seitdem steht eine Postkarte mit einer Reproduktion des Bildes auf seinem Schreibtisch. Weder dem Maler noch seiner Exfrau, die seinerzeit Modell stand, sei er jemals begegnet, beteuert Schlink. Ohnehin seien die Figuren im Buch frei erfunden und hätten nichts mit den realen Menschen zu tun. Obwohl das Bild im Zentrum dieses Romans steht und sogar den Titel "Die Frau auf der Treppe" trägt.

Es geht um drei Männer und eine Frau. In einer Galerie in Sydney , wo er beruflich zu tun hat, entdeckt der Ich-Erzähler des Romans ein Gemälde, das ihn in die eigene Vergangenheit zurückführt. Er war noch ein junger Anwalt, als er einen Konflikt zwischen dem berühmten Maler Karl Schwind und dem reichen Geschäftsmann Peter Gundlach schlichten sollte. Ging es um Kunst damals, oder nicht eher um eine Frau? Um Irene Gundlach? "Sie hatte dem Maler Modell gestanden und war mit ihm durchgebrannt? Hatte den alten Mann gegen einen jungen getauscht?" Der wollte das nicht auf sich sitzen lassen und schaltete einen Anwalt ein. Als könne der vertraglich regeln, dass die Frau im Tausch gegen das Gemälde zu ihm zurückkehre. Absurd.

Der Anfang des Romans liest sich wie eine Meistererzählung von Honoré de Balzac . Dann aber verliebt sich der Anwalt in Irene und schmiedet den wilden Plan, mit ihr nach Amerika durchzubrennen. Die beiden rauben das Gemälde, plötzlich aber ist sie verschwunden und lässt ihn sitzen. In der Galerie in Sydney erinnert er sich an die Episode und beauftragt eine Detektei damit, herauszufinden, wo sich die Besitzerin des Kunstwerks aufhält. Obwohl er nicht weiß, was er ihr sagen soll, reist er zu ihr in eine entlegene Gegend Australiens. Kaum ist er dort, tauchen auch Schwind und Gundlach auf. Die Ausstellung war nur ein Köder, mit dem Irene die Männer zu sich locken wollte. Ist sie doch an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt und hat nur noch wenige Tage zu leben. Die Sterbende erklärt, warum sie mit keinem der drei habe leben wollen. Der Anwalt bleibt allein zurück und pflegt Irene. Sie öffnet ihm die Augen und er erkennt, dass er ein "Leben im Gehäuse" geführt hat. Im Bestreben, als Anwalt immer alles "rechtzumachen", habe er nur für den Beruf gelebt.

Bernhard Schlink ist selbst Jurist, ein wenig Selbsterkenntnis wird also in den Roman eingeflossen sein. Trotzdem liest sich die Geschichte sehr konstruiert. Vieles ist hier übertrieben. Dennoch: Als Leser bleibt man bei der Stange. Überzeugen aber will das Werk einen nicht. Es ist schon komisch: Der 1944 in Bielefeld geborene Schlink hat wunderbare Erzählungen geschrieben ("Sommerlügen"). Seine Romane aber bleiben dahinter zurück, selbst sein größter Erfolg "Der Vorleser" (1995). Die Figuren des neuen Buchs sind zwar nicht so hölzern wie die des letzten Romanes "Das Wochenende" (2008). Aber auch sie gleichen eher Archetypen als Menschen aus Fleisch und Blut.

Bernhard Schlink : Die Frau auf der Treppe. Diogenes, 256 Seiten, 21,90 Euro.

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