Lasst uns Menschen werden

Saarbrücken. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt - es ist eine waghalsige Kurve, die die Saarbrücker Ballettchefin Marguerite Donlon der Stimmung des Publikums zumutet. Der vierteilige Abend beginnt 1989 im Mozart-beschwingten deutsch-deutschen Frieden ("43.1 - Über die Mauer", 2009) und endet in der düsteren Allegorie eines Kurt Joos

Saarbrücken. Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt - es ist eine waghalsige Kurve, die die Saarbrücker Ballettchefin Marguerite Donlon der Stimmung des Publikums zumutet. Der vierteilige Abend beginnt 1989 im Mozart-beschwingten deutsch-deutschen Frieden ("43.1 - Über die Mauer", 2009) und endet in der düsteren Allegorie eines Kurt Joos. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, sagt der uns im "Grünen Tisch" (1932). Seinen schwarzbefrackten feinen Herren, die am Verhandlungs-Tisch Kriege anzetteln, gehört das Abschiedbild des Premierenabends. Deprimierend? Mitnichten. Donlon geht es nicht um die Illus-tration von Zerstörung und Schrecken, sie hat eine optimistische humanistische Botschaft und nutzt die Bühne nicht zur Agitation, sondern zur Sensibilisierung.

Womit beginnen? Mit der stärkeren der beiden Uraufführungen, mit "response.UN.abilitiy" der freien Saarbrücker Performancegruppe "Die Redner". Der Mix aus Live-Musik, Video-Bildern und politischem Wort erwies sich als Glücksfall: originell, anspruchsvoll, visuell berauschend. Saxophon, (Claas Willeke) Bass-Gitarre (Florian Penner) und Trommeln (Oliver Strauch, Bernhard Wittmann) geben den intensiven, durchdringenden Grund-Tonus vor. Wir hören die bewegte Stimme von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt. 1977, kurz nach dem Schleyer-Mord der RAF. Schmidt fragt nach Verantwortung und Schuld im Kampf gegen den Terror. Und gibt die Antwort: "Demokratie bedeutet Humanisierung im Umgang mit der Macht." Diese brillante intellektuelle Lehr- und Sternstunde wird gegengeschnitten mit krasser Terror-Realität. Eine Bundeswehrärztin berichtet, wie sie 2003, nach einem Selbstmordattentat in Kabul, Identifikations-Nummern auf Körperreste notiert. Ihre und Schmidts Worte schwimmen in einem hochartifiziellen Kunstraum, in dem riesenhafte Tänzer über vier Leinwände fliegen, deren Sequenzen sich überlappen oder spiegeln. Dass Donlon dieser unkonventionellen Arbeit das Tor zum "Großen Haus" aufstößt, verdient als programmatische Positionierung höchsten Respekt. Nach dieser exzellenten Leistung am Samstag gar Jubel.

Auch mit ihrer eigenen Uraufführung "Footprints" betritt Donlon Neuland: Sie integriert Laien in die Company, lässt Kriegserlebnisse über Band einspielen, baut eine Brücke zwischen den Generationen. Diesen "versöhnlichen" Ansatz spiegelt das geradezu zärtliche Bemühen der jungen um die Senior-Tänzer, die sie an der Hand nehmen oder aufrichten. Das Stück spielt im ominösen Grau des Gedächtnis-Dunkels, passend dazu die fabelhaften "immateriell" wirkenden Kostüme von Markus Maas. Eine bühnenbreite Reihe von Stühlen (Bühne: Cecile Bouchier) symbolisiert die Außenwelt, in die Bomben einschlagen. Die Alten richten sie wieder auf. Getragen das Bewegungs-Tempo, melancholisch die Komposition "After the rain" von Barry Guy, die das Staatsorchester unter Leitung von Christophe Hellmann vorzüglich interpretiert. In "Footprints" führt Donlon ihre Company in ein härteres Zeichen-Repertoire als üblich, in ein imponierendes Schattenreich. Doch die Zeitzeugen dürfen nur die Gesten-Klischees der Verzweiflung zuliefern. Sie bergen den Kopf in den Händen oder wehren böse Gedanken ab. Für ihren Auftritt bedarf es großen Mutes, denn sie geben nicht nur ihre Physis, sondern auch ihre Biografie preis. Das erzeugt ein hohes Maß an Intimität, auf die das Publikum nicht anders als mit Sympathie reagieren kann. Künstlerisch bleibt "Footprints" jedoch stecken, raut nichts auf, behält eine Patina des Gutgemeinten.

Das Gegenteil von Gefühligkeit - Distanz - wollte das legendäre pazifistische Ballett "Der grüne Tisch" von Joos erzeugen. Der "Totentanz in acht Bildern" bietet genau jenes - leicht angestaubte - Pathos und jene Plastizität, die man mit der "L'art engagé" der 30er Jahre verbindet. Zu appellativ-hämmernden Klavierklängen Fritz A. Cohens meißelte Joos holzschnittartige Szenen und Sozio-Typen, die er in karikierende Posen treibt: eitle Fahnenträger, kriegstrunkene Rekruten, verzweifelte Mütter. Und zu allem stampft der Kriegsgott/Sensemann seinen majestätisch-angsteinflößenden Marsch, den Alfredo Garcia Gonzalèz mit Wucht und Eleganz bewältigt.

Überhaupt ist dieses Ensemble eine reine Freude, beweist, dass sich Beseeltheit mit technischer Perfektion vereinen lässt. Das gelingt bereits im ersten, dem duftig-charmanten Mauerfall-Stück "43,1" von Donlon. Wie Vögel - Mauersegler - tauchen die Tänzer auf und ab hinter einem eher putzigen grauen Wall (Bühne: Bouchier/Heisig), der sich "magisch" öffnet. Erkämpft wird bei Donlon die deutsche Einheit nicht. "Europa!" steht am Ende auf der Wand. Es scheint, als wollte Donlon Spinoza vertanzen, und das rührt an: "Frieden ist eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen, Gerechtigkeit".

Weitere Termine: 6.2., 14.2., 26.2., 28.2.; Karten: Tel.: (06 81) 30 92-486.

"Demokratie bedeutet Humanisierung im Umgang mit der Macht."

Helmut Schmidt, 1977

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