Kunst eines Chamäleons

Berlin · Er spielte musikalisch mit allen Genres, inszenierte sich als schillernde Bühnenfigur, ging an die Börse und widmete sich abseits der Rockmusik der Bildenden Kunst. Mit einer tiefschürfenden Ausstellung würdigt der Berliner Martin-Gropius-Bau David Bowie als wandelbare Pop- und Stilikone.

 Ein Bogen aus der Foto-Session 1977 zum Album „Heroes”. Als Motiv wählte Bowie schließlich seine Pose rechts oben aus. Foto: Masayoshi Sukita / The David Bowie Archive

Ein Bogen aus der Foto-Session 1977 zum Album „Heroes”. Als Motiv wählte Bowie schließlich seine Pose rechts oben aus. Foto: Masayoshi Sukita / The David Bowie Archive

Foto: Masayoshi Sukita / The David Bowie Archive
 Druck eines Selbstportraits David Bowies aus dem Jahr 1978. Foto: Victoria and Albert Museum

Druck eines Selbstportraits David Bowies aus dem Jahr 1978. Foto: Victoria and Albert Museum

Foto: Victoria and Albert Museum
 Bowies Gemälde „Mona in Berlin“, das im Jahr 1977 entstand. Foto: The David Bowie Archive

Bowies Gemälde „Mona in Berlin“, das im Jahr 1977 entstand. Foto: The David Bowie Archive

Foto: The David Bowie Archive

So viel Klang war selten in einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau: Wer die David-Bowie-Schau mit allen Sinnen erleben will, tut gut daran, sich wenigstens dieses eine Mal auf den Audioguide einzulassen. Es lohnt sich. Die im Londoner Victoria and Albert Museum (V&A) entwickelte, multimediale Schau bietet anhand von rund 300 Objekten nicht nur ein geradezu überbordendes visuelles Angebot. Wer sie - ausgestattet mit High-Tech-Kopfhörern - besucht, taucht zusätzlich ein in die Klangwelten eines der größten Visionäre des Pop. Avantgardistische Kostüme und Set-Designs, Plattencover, handgeschriebene Songtexte, Fotodokumente und Musikvideos entführen den Besucher in den Kosmos eines innovativen Performers und Stil-Chamäleons, das sich im Laufe seiner Karriere immer wieder neu erfunden hat.

Die V&A-Kuratoren Victoria Broackes und Geoffrey Marsh betonen das besondere Verdienst des 1947 unter dem Namen David Robert Jones geborenen britischen Musikers, Sängers, Schauspielers, Produzenten und Malers: "Bowie überführte die Avantgarde in den Mainstream, ohne dabei ihre subversive, befreiende Kraft zu kompromittieren." Und ebenso wie er sich aus der Geschichte der Kunst, des Films, der Mode oder der Literatur bediente, wirkte er auch auf die zeitgenössische Kultur zurück. Selbst eine Conchita Wurst wäre wohl ohne David Bowies Vorkämpferrolle als Ikone des individuellen Ausdrucks kaum denkbar.

Die Berliner Ausstellung zeigt den Musiker nicht in erster Linie als Berühmtheit und Star, der bislang mehr als 140 Millionen Alben verkauft hat. Es gelingt den Kuratoren vielmehr, Bowie als kulturgeschichtliches Phänomen greifbar zu machen, das trotz seiner enormen Wandlungsfähigkeit immer auch einen hohen Grad an Wiedererkennbarkeit besitzt. Für etliche Generationen bildet Bowie eine Konstante in der musikalischen Sozialisation. Seine metallisch-gelb gefärbten Haare, die hohen Wangenknochen, seine hauteng geschnittenen Kostüme, seine androgyne Ausstrahlung oder seine gentlemanhaften Auftritte im lässigen Anzug mit geföhnter blonder Mähne: Bowie steht für kompromisslose Selbstentfaltung

Kaum ein anderer Musiker ist im Laufe seiner Karriere in so viele Rollen geschlüpft. Ob als Major Tom, der im von Stanley Kubricks Film "2001" inspirierten Song "Space Oddity" im Weltall verschwindet, als "Alladin Sane", "Ziggy Stardust" oder als "Thin White Duke", inspiriert von der Dekadenz der Zwanziger Jahre in Berlin : Bowie brachte all diese Figuren in stilprägenden Kostümen auf die Bühne. Die Berliner Ausstellung re-inszeniert in atemberaubenden Multimedia-Projektionen Konzerte etwa aus der "Ziggy Stardust" Tournee der frühen 70er Jahre, die mit dem herzzerreißenden Song "Rock'n Roll Suicide" endet, in dem Bowie das Ende seiner Bühnenkarriere verkündet. Dazu kam es nicht.

Die Berliner Festspiele haben die Londoner Ausstellung nicht 1 zu 1 adaptiert. Ein extra eingefügtes Berlin-Kapitel mit mehr als 60 Exponaten, die an der Themse nicht zu sehen waren, widmet sich ausführlich Bowies Berliner Jahren, als er zwischen 1976 und 1978 in einer Schöneberger Altbauwohnung lebte. Hier entstand in Zusammenarbeit mit Produzent Brian Eno auch die Berliner Trilogie mit den experimentellen Alben "Low", "Heroes" und "Lodger". Klang und Vision einer damals noch unangepassten, nervösen und zerrissenen Metropole am östlichen Rand der westlichen Welt. In Berlin drehte Bowie aber auch gemeinsam mit Marlene Dietrich den Film "Schöner Gigolo, armer Gigolo". Seine Briefe an die Dietrich - stilvoll auf Servietten des Überschalljets Concorde verfasst - sind jetzt erstmals ausgestellt.

Mit aufgenommen in die Berliner Schau wurden auch etliche Werke der bildenden Kunst: Grafik von Victor Vasarely, eine Videoarbeit von Tony Oursler und - besonders wichtig für Bowie - der den deutschen Expressionismus sehr schätzt, das Ölbildnis "Roquairol" (1917) und der Farbholzschnitt "Männerbildnis" (1919) von Erich Heckel, der als Vorlage für das "Heroes"-Cover diente. Schade nur, dass man unmittelbar nach dem Verstummen des letzten Soundschnipsels dieser wirklich tiefschürfenden Multi-Media-Schau in die kommerzielle Realität des Merchandise-Shops gestoßen wird, wo es vor weitgehend überflüssigen Bowie-Memorabilia nur so wimmelt.

Bis 10. August, 10 bis 20 Uhr. Katalog: Knesebeck, 320 Seiten, 34,95 Euro (Museum), 49,95 Euro (Buchhandel).

davidbowie-berlin.de

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