Kultusminister Ulrich Commerçon sagt Nein zu Kulturentwicklungsplan

Saarbrücken · Die Opposition und die Arbeitskammer werfen der schwarzroten Koalition Planlosigkeit in der Kulturpolitik vor. Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD) bezieht gegenüber der SZ erstmals Stellung zu der Kritik.

 Grenzüberschreitende Kultur für 15 000 Menschen: Minister Commerçon unterstützte 2014 die „Carabosse“-Feuerinstallation im Deutsch-Französischen Garten. Er will über Einzelförderung Impulse setzen. Foto: Oliver Dietze

Grenzüberschreitende Kultur für 15 000 Menschen: Minister Commerçon unterstützte 2014 die „Carabosse“-Feuerinstallation im Deutsch-Französischen Garten. Er will über Einzelförderung Impulse setzen. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Die Musikfestspiele Saar rufen laut um Hilfe, das Historische Museum Saar hängt konzeptionell und personell in den Seilen, das Saarbrücker Pingusson-Denkmal bröckelt schneller als Umnutzungspläne reifen. Die Liste der Kultur-Notfälle ließe sich beliebig fortsetzen. Und wo als Erstes anpacken? Ein Kulturentwicklungsplan würde das regeln, meint die Opposition, wirft Kultusminister Ulrich Commerçon (SPD ) Konzeptlosigkeit vor und fordert ihn auf, eine Prioritätenliste für Förderaktivitäten vorzulegen. Auch die Arbeitskammer bemängelte in ihrem jüngsten Bericht an die Landesregierung fehlende Planung. Commerçon hat auf diese Vorwürfe jetzt gegenüber der SZ reagiert. Mit einer klaren Absage an Strategiepapiere jeder Art. "Mit einem Kulturstrukturplan allein hat man nichts gewonnen", sagte er auf Nachfrage. Papier sei geduldig. Commerçon verweist auf den viel zu breit und theoretisch aufgesetzten und deshalb gescheiterten Kulturentwicklungsplan der Landeshauptstadt. Er bevorzuge, durch Impulse zu steuern, konkrete "innovative und kreative" Projekte zu initiieren oder zu unterstützen. Als Beispiel nennt er das von seinem Haus mitorganisierte Industriekultur-Projekt "Feuer und Stahl - Kunst & Kino im Kohlekahn" auf dem Theaterschiff Maria Helena. Es ging in der Großregion und in Nordrhein-Westfalen auf Fahrt. Außerdem erwähnt der Minister das umstrittene, angeblich zu kostspielige Feuerspektakel von Carabosse im Deutsch-Französischen Garten während der letztjährigen Perspectives: "Mit den großartigen Bildern landeten wir im ZDF-Mittagsmagazin, einen besseren Werbefilm für das Saarland kann ich mir kaum vorstellen."

Willkürliche, undurchdachte Einzelförderung? Commerçon widerspricht. Der SZ nennt er drei Begriffe, an denen er seine Kulturpolitik ausrichtet: Nachwuchs, Grenzüberschreitung, Urbanität. Letzteres meint unter anderem Festivals, das Kulturzentrum am Eurobahnhof (KuBa), Projekte der Performance-Gruppe Die Redner oder die Urban-Art-Biennale im Völklinger Weltkulturerbe. "Ich stehe für eine perspektivische Kulturpolitik. Ich möchte, dass das Saarland attraktiv wird für künstlerischen Nachwuchs und generell für junge Leute." Außerdem sei überregionale Aufmerksamkeit ein Kriterium. Deshalb engagiere er sich jetzt etwa auch mit einem Sonderpreis bei der Kabarett-Kleinkunstwoche "St. Ingberter Pfanne", die medial und unter Künstlern stark wahrgenommen werde.

Und was wird aus den großen Tankern der etablierten Kultur wie den Musikfestspielen Saar, denen die Sponsorengelder wegbrechen? Sie fordern eine Grundsicherung von 500 000 Euro vom Land. Commerçon will dies prüfen, verweist auf 350 000 Euro aus dem Landesetat, die den Musikfestspielen bereits zuflössen, und kündigt eine konzeptionelle Grundsatz-Debatte an. Einfach nur den Geldbeutel aufmachen, das sei nicht sein Ding. Er möchte prüfen, ob die zeitliche Dehnung des Festival-Programms aufs ganze Jahr sinnvoll sei und ob man nicht doch ein überregional ausstrahlendes Alleinstellungsmerkmal entwickeln könne. Ob man dies in einem Kulturentwicklungsplan festhielte oder nicht, beschleunige Veränderungen nicht, meint Commerçon.

Meinung:
Akzente setzen ist Ministerrecht

Von SZ-RedakteurinCathrin Elss-Seringhaus

Das klare Nein zu einem akribisch ausgearbeiteten Kulturentwicklungsplan passt zum Praktiker Ulrich Commerçon . Tatsächlich fressen kulturpolitische Grundsatzprogramme viel Energie und Zeit und animieren am Ende sogar zur Untätigkeit, weil die entworfenen Paradiese unerreichbar scheinen. Also hat der Minister mit seiner impulsiven Einzelprojekt-Förderstrategie Recht? Damit macht man es Ulrich Commerçon wiederum zu leicht. Denn gezielte Projektförderung heißt nicht, bei Institutionen und Strukturen alles beim Alten zu lassen. Ausbauen, straffen oder schließen - das sind unbequeme Mühen der Ebene, die Commerçon bisher scheut. Was die Infrastruktur angeht, steht er fürs Bewahren. Kritiker sagen dazu Stagnation.

Schön zu hören, dass der Minister durchaus glasklare Vorstellungen von einer "perspektivischen Kulturpolitik" hat. Schade nur, dass er seine Leitlinien bisher nicht offensiv kommunizierte. Weil das Ärger machen könnte? Commerçons Distanz zur konservativ-etablierten (Musik-)Kultur lässt sich mit Händen greifen. Doch Akzente setzen ist gutes ministerielles Recht, die Debatte darüber demokratische Pflicht.

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