Ruhrtriennale Wie frei und wie politisch darf Kunst sein?

Bochum · Heftig ging es zu bei der Diskussion über Israelkritik und künstlerische Freiheit im Programm der Ruhrtriennale.

Ruhrtriennale: Wie frei und wie politisch darf Kunst sein?
Foto: dpa/Ina Fassbender

Es dauert keine zwei Minuten bis die Podiumsdiskussion „Freedom of Speech/ Freiheit der Künste“ im Programm der Ruhrtriennale zum ersten Mal aus dem Publikum gestört wird. Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert, der sich bereit erklärt hat, die unter größter öffentlicher Beobachtung stehende Veranstaltung in seiner Heimatstadt Bochum zu moderieren, erklärte gerade ihren Sinn und Zweck: Anlass sei die Einladung der Band Young Fathers ins Programm der Ruhrtriennale. Die Band ist in der Kampagne BDS aktiv, die für einen Boykott des Staates Israel eintritt. „Ein Hintergrund dieser Veranstaltung ist der Trend in Deutschland, die eigene Meinung für die einzig richtige zu halten“, so Lammert. „Wir haben es mit einer Form der Erpressung zu tun, der Kulturveranstalter ausgesetzt sind. Kann man nicht mehr miteinander reden?“ Hier regt sich der erste Protest im Publikum: „Nicht mit Judenhassern!“, rufen pro-israelische Aktivisten.

Viele der Aktivisten, die die Diskussion immer wieder stören, standen kurz vorher noch auf einer Demonstration mit rund 200 Teilnehmern vor der Bochumer Turbinenhalle. Angeführt wurde sie von der Kölnerin Malca Goldstein-Wolf, die im Frühjahr den WDR-Intendanten Tom Buhrow dazu gebracht hatte, die Präsentation eines Konzerts des BDS-Aktivisten Roger Waters abzusagen. „Ruhrtriennale-Intendantin Stefanie Carp hofiert eine Organisation, die das neue Kauft-nicht-beim-Juden gesellschaftsfähig macht!“, rief sie ihren Anhängern zu und richtete eine Forderung an Armin Laschet: „Lassen Sie nicht zu, dass die Ruhrtriennale zum Echo verkommt. Entlassen Sie Stefanie Carp.“ Unterstützung bekam sie vom FDP-Landtagsabgeordneten Lorenz Deutsch: „Die FDP bleibt dabei: Die Ruhrtriennale braucht eine neue Leitung.“

Die Gräben sind so tief, dass Vertreter der israelischen Botschaft ihre Teilnahme an der Podiumsdiskussion absagten – zum einen mit Verweis auf den Sabbat, zum anderen, weil man nicht mit Befürwortern eines Israel-Boykotts an einem Tisch sitzen wollte. Diese Befürworter sind der amerikanische Komponist Elliot Sharp und Hildegard de Vuyst aus der belgischen Kompanie Alain Platels, die für ihren kurzfristig ausgefallenen Leiter eingesprungen ist. „Wir unterstützen BDS als ein nicht-gewalttätiges Instrument, Druck auf Israel auszuüben, sich an internationales Recht zu halten“, sagt de Vuyst und wird aus dem Publikum gestört: „Wussten Sie, dass die Bundesregierung BDS als antisemitisch deklariert hat?“

Elliot Sharp geht auf der Eskalationsstufe noch einen Schritt weiter: „Die Bilder aus dem Warschauer Ghetto sind denen aus dem Gaza-Streifen ähnlich. Ich glaube, die israelische Politik ist für das Wiedererstarken des Antisemitismus mit verantwortlich.“ Völlig eskaliert die Stimmung in der voll besetzten Halle, als der Filmemacher Udi Aloni das Rederecht bekommt, der vor wenigen Tagen bereits eine Diskussion zu einem ähnlichen Thema in Berlin gesprengt hatte: „Ich bin israelischer Jude“, sagt er, „und mein Herz schlägt genauso für Israel wie für Palästina.“ Der Rest seines Beitrags zur Legitimierung von BDS wird niedergeschrien Die pro-israelischen Aktivisten haben einen psychologischen Begriff für Menschen wie Aloni: „jüdischer Selbsthass“.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre ist Moderator Norbert Lammert ein Glücksfall. Er macht keinen Hehl daraus, auf welcher Seite er steht – nämlich auf der von NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen. „Die Freiheit der Kunst steht für mich in keinster Weise in Frage“, sagt sie, „aber man muss auch Grenzen beachten, die in Deutschland klar gezogen sind: Wenn zum Boykott Israels aufgerufen wird, sind sie überschritten. Die Sicherheit Israels ist für Deutschland historisches Gebot.“ Lammert ist jedoch ein engagierter Demokrat, der stets seinem höchsten Ideal folgt, miteinander im Gespräch zu bleiben. Er stellt sich gern dem Streit, aber immer mit Haltung. Nach der Diskussion steht er den aufgebrachten pro-israelischen Aktivisten zur Verfügung, hört zu, erwidert, lässt sich mit Malca Goldstein-Wolf für ihre Auftritte in den Sozialen Medien fotografieren.

Während der Diskussion fühlt er Stefanie Carp auf den Zahn, deren Statement alle gespannt erwarten. „Als ich die Young Fathers einlud, hatte ich von BDS noch nie gehört“, erklärt sie und sorgt für höhnisches Gelächter. Sie stellt auch klar: „Selbstverständlich stelle ich mit keiner Sekunde das Existenzrecht Israels in Frage“ – eine Aussage, die sie im Vorfeld einigen Medien verweigert hatte. „Aber ich bin interessiert an einem multiperspektivischen Programm. Man muss Widersprüche in Konflikten und der Diskussion darüber aushalten. Ich glaube, dass Kunst dafür da ist.“ Auch darum sei es nach ihren Worten ein Fehler gewesen, die schottische Band wieder auszuladen.

 Israel-Unterstützer und Israel-Kritiker trafen vor der Jahrhunderthalle in Bochum aufeinander vor der Diskussion über die Freiheit der Kunst, die in aufgeladener Atmosphäre stattfand.

Israel-Unterstützer und Israel-Kritiker trafen vor der Jahrhunderthalle in Bochum aufeinander vor der Diskussion über die Freiheit der Kunst, die in aufgeladener Atmosphäre stattfand.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Die Intendantin nimmt sich also weiter eine unentschlossene, nachdenkliche, künstlerische Haltung heraus – und fragt schließlich mit unsicherer Stimme in die Runde: „Darf ich jetzt alle Künstler, die mit dem BDS sympathisieren, nicht mehr einladen?“ Eine deutliche Antwort kommt von Theaterregisseur und Sänger Schorsch Kamerun: „Ich glaube einfach, der BDS trägt in seinen Anfangsbuchstaben was in sich, wo Du drüber stolperst. Boykottieren ist keine Einladung mehr.“

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