Zum Tod des Schriftstellers und Sprachforschers Michel Butor

Saarbrücken · Er gilt als einer der Väter des experimentellen „nouveau roman“, er hat Sprache, Geistesgeschichte, Musik und Malerei erforscht. Gestern ist Michel Butor im Alter von 89 Jahren gestorben.

"Das Schreiben hat für mein geistiges Ich die gleiche Funktion wie die Wirbelsäule für meinen Körper", erklärte einst Michel Butor, dessen Name fast immer in einem Atemzug mit Nathalie Sarraute und Alain Robbe-Grillet genannt und beinahe als Synonym für den "nouveau roman" gebraucht wird. Auch als Theoretiker hat er sich einen großen Namen gemacht und verhalf der Universität Genf, wo er 15 Jahre Linguistik lehrte, zu hohem Ansehen.

Butor, 1926 im kleinen Ort Mons-en-Baroeul bei Lille als Sohn eines Eisenbahn-Inspektors geboren, arbeitete nach dem Studium (Philosophie, Literaturwissenschaft) einige Jahre als Französischlehrer im Ausland. Trotz seiner literarischen Erfolge hat Butor die Kunst nie zu seinem Brotberuf gemacht, sondern eine akademische Laufbahn eingeschlagen. Vor allem seine frühen Romane "Passage de Milan" (1954), "Der Zeitplan" (1956) und "Modifikation" (1957), die unter dem Einfluss von Joyce, Proust, Faulkner und dem befreundeten Sartre entstanden sind, werden als Standardwerke des "nouveau roman" gehandelt. Aufsehen erregte er 1965 mit dem Hörspiel "6 810 000 Liter Wasser pro Sekunde", in der er die Naturschönheit der zur Touristenattraktion heruntergekommenen Niagarafälle angepriesen hatte. "Die Welt - vor allem die Objektwelt - wird gleichsam wie durch eine Filmkamera betrachtet. Deshalb fühlen sich die Schriftsteller des ,nouveau roman' auch so sehr mit dem Film verbunden. Er deckt sich am meisten mit ihrer eigenen Wahrnehmung der Realität", erklärte Butor. Sein Oeuvre von über 50 Büchern umgab schon zu Lebzeiten eine rätselhafte Aura. Fünf Bände mit Essays zur modernen Literatur, eine dreibändige Analyse des Geistes der historischen Monumente im Mittelmeerraum, Aufsätze zur Malerei und Musik, Hörspiele, Libretti und profunde Studien über Proust, Balzac, Hugo und Rimbaud.

1996 hat Butor selbst versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Unter dem Titel "Improvisationen über Michel Butor" erschien ein 27 Kapitel umfassender Band, der sich an einer Vorlesungsreihe orientierte, die Butor über sein Werk vor seiner Emeritierung in Genf gehalten hat. Selten zuvor hat es ein Autor verstanden, sein eigenes Werk derart kenntnisreich auf ein stabiles theoretisches Fundament zu setzen.

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