Expressionisten im Saarlandmuseum Zeichnerische „Arm- und Lebensfreiheit“

Saarbrücken · Im Saarlandmuseum eröffnet heute die Schau „Brücke – Expressionistische Arbeiten auf Papier“, für die das Haus auf seine 400 Werke umfassende Grafiksammlung der Brücke-Maler zurückgreift. Zu sehen sind 68 Blätter von Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff und Pechstein, die mit 15 japanischen Holzschnitten korrespondieren.

 Jüngst erst vom Saarlandmuseum erworben, ist dort nun erstmals Karl Schmidt-Rottluffs „Herbstliches Meer“ (1907) zu sehen – ein hinreißendes Blatt voller fließender Strichbewegungen.

Jüngst erst vom Saarlandmuseum erworben, ist dort nun erstmals Karl Schmidt-Rottluffs „Herbstliches Meer“ (1907) zu sehen – ein hinreißendes Blatt voller fließender Strichbewegungen.

Foto: Saarlandmuseum/© VG Bild-Kunst, Bonn 2018/Raphael Maass

Einem Tagebucheintrag Erich Heckels zufolge hatte Karl Schmidt-Rottluff damals die Idee, die von ihm, Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Fritz Bleyl 1905 in Dresden gegründete, heute weltberühmte Künstlergruppe „Die Brücke“ zu nennen. Man habe ja „gewissermaßen von einem Ufer zum anderen führen“ wollen, so Heckel. Den drögen, halsstarrigen Wilhelminismus ihrer Zeit wollten sie, sicher dabei auch ein Stück weit von Nietzsches Geniekult angesteckt, abschütteln. Gesegnet mit viel Anti-Bürgerlichkeit und rousseauistischer Kreatürlichkeit, schrieben sie sich „das Ungewusste und Ungewollte“ als Quelle künstlerischer Schaffenskraft auf ihre Fahnen. Horaz’ „Odi profanum vulgus“ („Hinweg, unheil’ger Pöbel“) notierten sie als Motto in ihren Stammbaum – wobei der Pöbel, den sie damit meinten, vornehmlich die ganze erstarrte Welt akademischer Malerei umfasste und mithin weniger sozialrevolutionär zu verstehen war.

Das Saarlandmuseum eröffnet sein „Jubiläumsjahr“ (Stiftungsvorstand Roland Mönig sprach gestern vom 50-jährigen Bestehen der Modernen Galerie) nun mit einer erlesenen Grafikausstellung.  Dazu wurde die eigene, nahezu 400 Blätter von Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff und Pechstein umfassende Sammlung nochmal gründlich durchforstet. 68 Werke hat man ausgesucht und ergänzt sie um einige Leihgaben japanischer Holzschnitte der Universität Trier, die den Einfluss des Japonismus auf den Expressionismus der „Brücke“-Maler illustrieren. Auf drei Sammlungsphasen zurückgehend (in den 20ern von Leo Grewenig begründet, in den 50er von Rudolf Bornschein ergänzt und in den 80ern dann mit dem gewaltigen Block der Sammlung Kohl-Weigand komplettiert), repräsentiert dieses umfangreiche expressionistische Grafikkonvolut einen der hiesigen Museumsschätze. Grund genug für Mönig, den 2018er-Ausstellungsreigen des Hauses mit Zeichnungen, Holzschnitten und Lithografien der „Brücke“ einzuleiten. Eine Rolle mag dabei auch gespielt haben, dass die Expressionisten, wie der zur Pressekonferenz herbeigeeilte, „frisch vereidigte“ Minister Ulrich Commerçon anmerkte, „so etwas wie das Lieblingskind des Publikums sind“.

Es ist denn auch nicht die erste Ausstellung im Saarlandmuseum, die ihnen gewidmet ist: 2001 zeigte man (bis heute unvergesslich) Kirchners grafisches Werk, 2009 das Heckels und darüberhinaus 2005 unter dem Titel „Brücke in der Südsee“ die Inspiration der Expressionisten durch eben jene fernen Farbwelten. Die neue nun will mehr sein als eine bloße Überblicksschau, weshalb Kuratorin Juliana Gocke (assistiert von Mona Stocker, Leiterin der Grafischen Sammlung) die 68 „Brücke“-Blätter sinnfällig mit 15 japanischen Holzschnitten in Korrespondenz setzt. Während die Beeinflussung der Expressionisten durch japanische Plastiken oder die Ursprünglichkeit Ozeaniens kunsthistorisch längst rauf und runtergebetet ist, erfuhren die kompositionstechnischen Anleihen der „Brücke“-Maler bei japanischen Holzschnitten bis dato wenig Aufmerksamkeit. Allein dies lohnt den Besuch, erschließt sich aber erst bei eingehender Betrachtung. Dann offenbaren sich durchaus Parallelen in Bildaufbau und Ausdrucksreduktion.

Herzstück bleiben dennoch die grafischen, teils hochklassigen „Brücke“-Blätter. Ihre chronologische Hängung (in einem künftig der Grafik und Fotografie vorbehaltenen Saal im Obergeschoss des Schön­eckerbaus) zeigt, wie das Quartett Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein im Zeichen seiner programmatischen „Arm- und Lebensfreiheit“, wie Kirchner das einmal nannte, ein üppiges Spektrum an Drucktechniken (Hoch-, Flach- und Tiefdruck) einsetzte. Es zeitigte stilistisch enorme Vielfalt und löste die Räume immer wieder in der Fläche auf. Oft herrschen kantige Formen, schneidende Linienführungen  und extreme perspektivische Fluchten vor; dann wieder sieht man Blätter wie Pechsteins „Zwei Badende“ (1911), die dementgegen eine geradezu fließende Formensprache ausprägen. Das radikale Potenzial der Grafik hinsichtlich Dynamik, Kontrastierung und vor allem expressiv aufgeladener Unmittelbarkeit schöpften die „Brücke“-Maler nicht nur in ihren mit schneller Hand skizzierten „Viertelstundenakten“ aus, sondern auch in Café- oder Straßenbildnissen und Naturstudien. Höhepunkte sind etwa Kirchners filigrane „Drei Badende an den Moritzburger Seen“ (1909), Heckels wie durch eine zerborstene Scheibe eingefangener „Gerader Kanal“ (1915) oder Schmidt-Rottluffs, in extremem vertikalen Aufriss gezeigte „Drei am Tisch“ (1914)

 Die Malergruppe der „Brücke“ legte in den acht Jahren ihres Bestehens – 1913 zerbrach sie, nicht zuletzt infolge des durch ihren Umzug von Dresden nach Berlin forcierten Individualismus’ und dazu Kirchners wohl maßloser Eitelkeit geschuldetem Anspruch auf eine Vormachtstellung – eine bemerkenswerte Selbstvermarktung an den Tag: 90 in- und ausländische „Brücke“ Ausstellungen zettelte man an und brachte es zeitweilig auf knapp 70 assoziierte (und zahlende) Mitglieder. Entsprechend bilden die Jahre bis zum Kriegsausbruch 1914 den Schwerpunkt der Schau, während die Weiterentwicklungen des Quartetts nach der Auflösung der Gruppe (der Zeitraum 1915 bis 1935) gerade mal mit 14 Blättern nur spärlich abgesteckt werden. Unterm Strich aber wird genug aufgeboten, um sich in diesen Studien aufs Schönste zu verlieren.

 Einer der 15 gezeigten japanischen Holzschnitte: Utagawa Hiroshiges „Frühling am Fluss Sumida“ (1853), einer Leihgabe der Uni Trier.

Einer der 15 gezeigten japanischen Holzschnitte: Utagawa Hiroshiges „Frühling am Fluss Sumida“ (1853), einer Leihgabe der Uni Trier.

Foto: Universität Trier/Saarlandmuseum

Vernissage heute um 19 Uhr.
Bis 2.5.; Di-So: 10-18 Uhr, Mi: 10-20 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein „Cahier“ mit Reproduktionen einiger der „Brücke“-Grafiken (8,90 € im Museum).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort