„Wir operieren am offenen Herzen“

Saarbrücken · Heute hat Verdis Oper „Simon Boccanegra“ Premiere am Saarländischen Staatstheater. Wie geht Regisseur Johannes von Matuschka an den Stoff heran?

Die Handlung ist verworren. Das Geschehen auf der Bühne wird durch einen Zeitsprung von 20 Jahren plötzlich zur Vergangenheit, die Personen sind dieselben, aber nun tragen sie andere Namen. Ein kaum entwirrbares Intrigenspiel zwischen Aristokraten und Normalsterblichen geht so hin und her.

Giuseppe Verdi lebte zur Zeit des Risorgimento, der italienischen Befreiungs- und Einheitsbewegung im 19. Jahrhundert, seine Oper "Simon Boccanegra" spielt im 14. Jahrhundert in Genua. Parallelitäten lassen sich finden, aber eigentlich ist Boccanegra eine überzeitliche, fast irreale Figur. Johannes von Matuschka inszeniert zum ersten Mal am Saarbrücker Staatstheater und zum zweiten Mal eine Oper. Er lässt die komplexen Handlungsstränge hinter sich und widmet sich dem, was er als Kern des Werks sieht. Der Doge Boccanegra hatte eine Geliebte, eine Mésalliance, die ihm aus Standesdünkel verwehrt blieb, eine Tochter wurde jedoch gezeugt. Die Tochter verschwindet, die Geliebte stirbt.

Nach 20 Jahren taucht die Tochter auf, gibt sich als solche zu erkennen und mischt den ganzen festgefahrenen Laden auf. Sie fordert, was Boccanegra, ihrem Vater, damals verwehrt blieb: nämlich zu lieben, wen sie liebt. Und bei Boccanegra bricht alles auf, was zwei Jahrzehnte in der Machtposition des Dogen unter Verschluss gehalten war. Er erkennt, dass er die eigene unglückselige Geschichte wiederholt, falls er seine Machtposition ausnutzt, um seine Tochter Amelia in eine arrangierte Heirat zu zwingen. Eine "lebendige Katharsis", so sagt es von Matuschka, bringt ihn dazu, sich quasi nackt vor Widersacher und Volk zu stellen, um für Liebe und Einigkeit zu plädieren.

"Wir operieren am offenen Herzen, wir entblättern seine Verkrustung", sagt der Regisseur. Die Oper sei voll von "Erinnerungssplittern", die es zu bergen gelte. Eingeholt von der Vergangenheit, gewissermaßen bestraft, wird derjenige, der als öffentliche Person, als Machthaber nicht Zeit und Raum hat, zu begreifen und auf sein Herz zu hören.

Johannes von Matuschka, 1974 geboren, hatte schon ein Juraexamen abgeschlossen, bevor er am Max Reinhardt Seminar Schauspiel und Regie studierte. Das "deutliche Analysieren" sei beiden Disziplinen eigen, auch das Strafrecht beobachte Menschenverhalten, aber von Matuschka fühlt sich doch "besser aufgehoben in den Fragen, die das Recht nicht beleuchten kann". Er versteht sich als musikalisch arbeitender Sprechtheaterregisseur; die Unterscheidung an sich ist ihm suspekt, auch in der Oper würde miteinander gesprochen, die Musik vertieft, sie erweitert das Gesagte. Er habe "darauf vertraut, dass die Komposition ihm etwas erzähle" und war beeindruckt von Verdis tiefer und feinsinniger Seelenkunde. Von Matuschka lässt die Welt letztlich nicht besser werden - denn auch dem Nachfolger ist der Dogenmantel eigentlich zu groß.

Premiere: Heute, 19.30 Uhr, Saarländisches Staatstheater.

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