Neue Regionalliteratur Wer ist man noch, wenn das Spiel aus ist?

Saarbrücken · Nach seinen „Salü Palü“-Parodien wechselt der Saarbrücker Schriftsteller Bernd Nixdorf nun ins ernste Fach. Seinen neuen „Fragmentroman“ stellt er am Montag im Künstlerhaus vor. Das kleine Buch ist ein ziemlich großer Wurf.

Schon das Intro („Ganz kurz, zu Beginn“) hat es in sich. Und gibt den Takt dieses (auf der Suche nach einem griffigen Untertitel für diese ziemlich gekonnte patchworkartige Prosa dann) „Fragmentroman“ genannten Buchs vor. Wie aber soll man ihn beschreiben, diesen Takt? Leben und Tod hören darin genauso aufeinander wie Erinnerungen und Gegenwärtiges darin immerzu gemischt, gesampelt, gepaart werden. Angetrieben von der Frage, was ein Leben zuletzt ausmacht. Wie sich aus all den üblichen Fälschungen, denen es unterliegt, doch noch so etwas wie Wahrheit, ja Sinn herausdestillieren lässt.

Der besagte ganz kurze Beginn erzählt in elf Zeilen ein Lebensende als Traumbild und ein Traumbild als Lebensfortsetzung: Ein Paar sitzt im Auto. Sie fährt, er daneben. „Ja sehr, antworte ich auf ihre Frage. Ich auch, sagt sie und steuert scharf nach rechts. Wir stürzen, versinken im tiefen, dunklen Wasser. Wir versuchen nicht, uns zu befreien. Es ist die richtige Zeit.“ Drei Sätze später liegt sie wieder auf dem Sofa und er weiß wieder, dass er „hier“ ist. Noch hier ist.

„Eine intime Vertraute“, nun als Band 33 der „Topicana“-Reihe des VS Saar herauskommend, heißt dieses neue Buch des Saarbrücker Autors Bernd Nixdorf, den man bislang vor allem als Autor zweier unter dem Titel „Salli Palli“ (1992) und „Marcel Palli jagt Le Sucre“ (2016) erschienener, ziemlich witziger „Salü Palü“-Tatort-Parodien kannte. Das neue ist von ganz anderem Kaliber. Nixdorf (57) erzählt darin von einem gescheiterten Selbstmordversuch, nach dem seine Hauptfigur auf dem Saarbrücker Sonnenberg landet und in der Psychiatrie wieder versucht, ihr Leben neu zu sortieren. So wie Nixdorfs Ich-Erzähler sich dort wechselnde Namen zulegt – mal nennt er sich Hopper, dann Pollock, dann Barbieri (nach dem italienischen Barockmaler) – , hat er auch sonst seine Rollen gewechselt. „Ach, der war ich? Der, der so tat, als sei er ein anderer. Der, der in einer Fälschung lebt“, liest man schon anfangs. Später wird klar, dass er von Beruf Kunstfälscher ist. „Du bist am besten, wenn du jemand anderer bist“, warnt Hoppers Kunsthändler ihn, nicht seiner eigenen, sentimentalen Ader freien Lauf zu lassen.

Aber nicht diese (durchaus raffinierte) Spiegelbildlichkeit von Kunst und Leben macht die Qualität des Buchs aus. Vielmehr ist es die Eindringlichkeit, mit der Nixdorf schildert, wie das Leben seiner Figur auf der Umlaufbahn seiner existenziellen Erfahrung weiterkreist. Auch als Leser kommt man nicht umhin, jeden Satz in diesem suizidalen Licht zu lesen. Auch wenn Nixdorf zwischendurch hier mal ins Frotzeln gerät und uns da mal mit Galgenhumor kommt: Im Grunde ist dieser nicht mal 120 Seiten lange „Fragment­roman“ ein in seiner entwaffnenden Offenheit berührendes Stück Prosa, das Wesentliches verhandelt. Die Frage, wer und was bleibt, wenn man die ganze Staffage wegnimmt. Denn darum geht es dieser Prosa: um das Freilegen des Ichs. „Zu allen nett und höflich – nicht Ich“: Sieben Wörter sagen manchmal mehr als sieben Tage (oder so) vorgeben.

Wie Nixdorf dies literarisch umsetzt, das ist zumeist ganz hervorragend gelöst. Fugenlos stellt er tagebuchartige Notizen, Dialogstücke, Reflexionen, Songzeilen (von Lou Reed, Bowie oder den Zombies), Psychiatrie-Flurszenen, prospektreife Fensterblicke und kryptische Rück­blenden seines Erzähler-Ichs (seine Kindheit; ein römisches Café; sein in Brand gesetztes Atelier; die Einkäufe für den Suizidabend) nebeneinander und baut dazu beständig Zeit- und Erzählsprünge ein. Fragmente, die wie im echten Leben nie ein ganzes Bild ergeben.

 Unterm Strich aber schildert „Eine intime Vertraute“ – der Titel ist Kierkegaards „Entweder – Oder“ entlehnt, wo es heißt: „Außer meinem übrigen zahlreichen Umgangskreis habe ich noch eine intime Vertraute – meine Schwermut“ – das mühsame Wiederandocken Hoppers im Leben. Schildert bruchstückhaft seinen medikamentenvernebelten Aufenthalt in der „Geschlossenen“ mit ihren schwefelgelb gestrichenen Zimmern, Gruppen- und Ergotherapien, Gang- und Raucherzimmergesprächen von Patienten und Pflegern. „Das ist im Moment mein ganzes Leben“, konstatiert Nixdorfs Ich lapidar.

Das eigentliche Kunststück dieser ausgefeilten Prosa, auch wenn die zum Ende hin ausfranst, ist ihre innere Plausibilität, ihr unprätentiöser und deshalb umso gültigerer Ton. Dazu passt, dass noch die gewichtigsten Sätze (etwa „Vielleicht lerne ich ja noch jemanden kennen, für den das Weiterleben sich gelohnt haben wird“ oder „Vielleicht gibt es mich nur, weil man halt Kinder haben muss“) so beiläufig fallen, dass man sie fast überliest. Genauso wie die vielen versteckten Anspielungen und Fährten in Musik, Literatur und Kunst. Zuletzt jedenfalls gilt Hopper als geheilt und wird entlassen. Im Schlusskapitel, als „Outtake“ angehängt, erzählt er einem Unbekannten im Zug noch eine mit Vor- und Rückblenden spielende, frisierte Liebesgeschichte. Er ist nun Schriftsteller, erfahren wir. Und schreibt Liebesromane. Wo endet die Kunst, wo das Leben? Am Donnerstag beim Kaffee im Künstlerhaus erzählte uns Nixdorf, dass er bereits an einer Fortsetzung sitzt. Die werde voluminöser, sagt er. Wird es etwa ein Liebesroman? Oder doch ein Fälscherroman?

Bernd Nixdorf: Eine intime Vertraute. Fragmentroman. Edition Künstlerhaus. Topicana-Band 33, 115 Seiten, 12 €.

Buchvorstellung: Montag (20 Uhr) im Saarbrücker Künstlerhaus (Karlstr. 1).

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