Neuer Report über weltweite Ungleichheit Warum Reiche reicher werden und der Rest das Nachsehen hat

Saarbrücken · Vier Jahre nach seinem Megaseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ legt Thomas Piketty mit anderen Forschern eine große Studie zur weltweiten Ungleichheit vor.

Kein anderes wirtschaftswissenschaftliches Werk dürfte in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit erfahren haben als Thomas Pikettys 2014 erschienene Studie „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Gestützt auf eine gewaltige Datenbasis, legte Piketty darin dar, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Europa und den USA zunimmt – weil insbesondere Vermögen schneller wüchsen als die Nationalökonomien, sodass Klassenunterschiede zwischen Reich und Arm durch hohe Kapitalrenditen regelrecht vererbt würden. Die soziale Schere spreize sich daher gesetzmäßig immer weiter auf.

Als Fortsetzung seines Bestsellers hat Piketty nun mit einem jungen Ökonomen-Team einen „World Inequality Report“ vorgelegt, der bei C.H. Beck unter dem Titel „Die weltweite Ungleichheit“ erschienen und eine Kollektivarbeit von mehr als 100 Wissenschaftlern aus 70 Ländern ist. Seine Grundlage sind nationale Einkommens- und Vermögensberichte, fiskalische Daten aus Einkommenssteuern, Vermögensrankings sowie Erhebungen zu Erbschaften und Vermögen, die oft über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren vorliegen und erstmals systematisch ausgewertet wurden. Dabei verfolgt das Forscherteam einen basisdemokratischen Ansatz. Schon in der Einleitung heißt es, man wolle „eine demokratische Lücke füllen und verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren die nötigen Fakten an die Hand geben, um informierte öffentliche Debatten zum Thema Ungleichheit zu führen“.

Während sich Datenbanken zur weltweiten Ungleichheit üblicherweise auf Haushaltsbefragungen stützen, in denen die oberen und unteren Einkommens- und Vermögenssegmente unterrepräsentiert sind, greifen Piketty & Co daher auch auf administrative Steuerdaten zurück. Trotz unzähliger Zahlenkolonnen und mehr als 150 Grafiken ist ihr Nachschlagewerk auch für Laien lesbar – und aufschlussreich in den Befunden. Wer „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ gelesen hat, wird viele zentrale Ergebnisse kennen. Während Pikettys damalige Datenbasis jedoch nur Europa und die USA war, geraten nun auch andere Weltregionen (zumeist China, Indien und Russland) mit in den Fokus.

Zu den bemerkenswerten Befunden gehört, dass die Ungleichheit zwischen Arm und Reich weltweit seit 1980 nahezu flächendeckend zugenommen hat, obwohl die ärmeren 50 Prozent der Weltbevölkerung in den knapp 50 Jahren seither deutliche Einkommensgewinne erzielten (vornehmlich in Asien mit Zuwächsen in China um 401 % und in Indien um 107 %). Grund: Das oberste eine Prozent der Einkommensbezieher profitierte im selben Zeitraum doppelt so stark vom Anstieg des globalen Einkommens. Am Schamlosesten taten sie es in Asien, Russland und im Nahen Osten: Während im Weltmaßstab die oberen zehn Prozent kumulativ „nur“ um 70 % zulegten, taten sie dies laut den Autoren in China um 1316 % und in Indien um 469 %.

In den USA und Europa hat die Besitz-Ungleichheit heute zwar nicht wieder das einstige Spitzenniveau vor 1914 erreicht. Dennoch untermauern die Reportdaten auch hier markante Unterschiede. So ist heute im Schnitt das Jahreseinkommen der oberen zehn Prozent in den USA fast fünfmal höher als im nationalen Median und 19 mal höher als das der unteren 50 Prozent, deren Einkommen nach Steuern seit 1980 praktisch stagnierte. In Deutschland bleiben die Diskrepanzen weniger krass, jedoch zeigt sich auch hier seit der Ausweitung des Niedriglohnsektors ein Einbruch bei den Niedriglöhnern: Der Anteil der unteren 50 Prozent am Nationaleinkommen sank demnach zwischen 2001 und 2013 von 22 auf 17 %.

Noch gewaltiger als bei den Arbeitseinkommen fallen die Unterschiede zwischen Besser- und Schlechtergestellten (ob in Asien oder in Europa und den USA) aus, nimmt man die Vermögensentwicklung in den Blick: Privatvermögen sind Piketty & Co zufolge global viel stärker in wenigen Händen konzentriert als die Einkommen und sprunghaft gewachsen. Insbesondere in den USA habe „die Vermögensungleichheit in den letzten 30 Jahren dramatisch zugenommen“. Erhellend ist ein weiterer Punkt: Fast überall ist das Privatvermögen stark gestiegen, während umgekehrt das Staatsvermögen seit den 70ern Stück um Stück einbrach (in den USA und Großbritannien bis ins Minus, in Deutschland liegt das Nettovermögen – sprich die öffentlichen Vermögenswerte abzüglich Staatsschulden – noch knapp über Null). Die Autoren folgern, dass dadurch die Fähigkeit in den meisten Industrieländern, „der wachsenden Ungleichheit entgegenzuwirken, mittlerweile beschränkt ist“. Dass es anders geht, zeigt etwa das Beispiel Norwegen, das nach der Entdeckung seiner Erdöl- und Erdgasvorkommen früh einen Rentenfonds auflegte, an dem alle Norweger partizipieren.

Zu guter, besser: schlechter Letzt – weltweit ist die Mittelschicht der große Verlierer. Ihr Vermögenszuwachs fiel selbst in den Industrieländern am Geringsten aus, weshalb die Studie vom „Phänomen der ,ausgequetschten Mittelschicht’“ spricht. Und was lässt sich gegen all das tun? An Lösungen schlagen die Autoren das Übliche vor: eine progressive Einkommens- und Erbschaftssteuer und den Aufbau eines globalen Finanzregisters, um Geldströme offenzulegen und Steuerparadiese auszutrocknen.

Facundo Alvaredo/Lucas Chancel/Thomas Piketty/Emmanuel Saez/Gabriel Zucman (Hrsg.): Die weltweite Ungleichheit. World Inequality Report. C.H.Beck, 457 Seiten, 20 €.
Alle Daten des Buches sind online frei verfügbar und (in acht Sprachen!) vollständig reproduzierbar, um eine Diskussion darüber in Gang zu setzen:
www.wir2018.wid.world

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