Lana Lux beim Literaturfestival „erLesen“ Was uns Straßenkinder über uns sagen

Blieskastel · Literaturfestival „erLesen“: Lana Lux’ denkwürdige Blieskasteler Lesung zum Thema Kinderprostitution.

Samira flieht im Grundschulalter aus einem ukrainischen Waisenhaus, sie will nach Deutschland zu ihrer einzigen Freundin Marina. Statt dessen landet sie in den Fängen von Rocky, einem heruntergekommenem Typen in den Vierzigern, der in einem leerstehenden Haus Straßenkinder beherbergt und auf Bettel-und Diebestour schickt. Ihr neues „Zuhause“ ist brutal und gnadenlos, aber Samira hat einen Job (Stehlen und Betteln), den sie gut machen will. Kukolka, Püppchen, wird sie genannt und weiß, wo sie hingehört. Bis Dima auftaucht, ein Traummann: Typ Ost-Neureicher der 90er und skrupelloser „Loverboy“. Er umgarnt die mittlerweile 13-Jährige, setzt sie unter Druck, schickt sie auf den Strich.

Lana Lux hat viel recherchiert, um ihr Thema Straßenkinder, Kinderprostitution, Menschenhandel realitätsnah auszuleuchten. Im Internet finde man Dokumentationen und Zeugnisse aller Art: Zuhälter, die über ihre Geschäfte sprechen sowie ehemalige Straßenkinder und Zwangsprostituierte, die ihr Martyrium schildern, erzählt die Autorin am Mittwoch bei der Lesung in der Orangerie in Blieskastel. Die Figur der Samira drängte sich ihr auf, als sie in einem Schreibworkshop bei einer Kreativübung mit Foto das berühmte Motiv des afghanischen Mädchens mit den grünen Augen wählte, das dem Fotografen Steve McCurry Ruhm und Geld brachte. „Ich habe immer imaginäre Menschen bei mir, manchmal kriege ich sie abgewimmelt, manchmal nicht“, meint sie.

Lana Lux ist ein Künstlername, die 31-Jährige berichtet mit unbekümmerter Jugendfrische, dass sie immer wieder gefragt werde, ob es ein konkretes Vorbild für Samira gebe, ob sie selbst die geschilderte Verrohung erlebt habe. Sie verneine stets, im Laufe der vielen Lesungen sehe sie jedoch immer deutlicher, wie viel von in der Kindheit Gesehenem und Miterlebtem doch in der Geschichte stecke. Das Schicksal der vielen Straßenkinder in der Ukraine habe sie immer sehr berührt („Wieso die, und nicht ich?“); und später in Berlin habe ihre Wohnung eine Weile mitten im Straßenstrich gelegen, so dass Konflikte und Gespräche bis zu ihr in den ersten Stock drangen. „Kukolka“ ist aus der Kinderperspektive geschrieben, die klaglose Akzeptanz der traurigen Lebensumstände wird so verständlich; denn für Kinder ist das Leben das, was sie kennen. Selbst das strenge Regiment des abstoßenden Rocky kann zum Bezugsrahmen werden. Samira „mochte die Wärme in der Küche, den Geruch“ – den nach altem Fett und Zigaretten.

 Lana Lux arbeitet stark mit Symbolik: Der Lebenswille einer Ratte, die lieber ihren Schwanz, dann gar ihre Pfote abbeißt, statt in der Falle auszuharren, steht für die innere Stärke des ukrainischen Waisenkinds, das sich durchschlägt. Alles was man schreibe, habe mit einem selbst zu tun; „ich lebe viel in Phantasiewelten und bekomme die Überlappung zur Realität nicht mit und will das auch gar nicht“, sagt Lux. Aus dem Zuhörerraum kam ausdrücklicher Dank für das sympathisch-authentische Teilhabenlassen an „den Welten im Kopf“ und dafür, dass die Autorin kein „hochliterarisches Motiv“ mitgebracht habe.

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