Tell-Premiere am Staatstheater Und wer hat’s erfunden?

Saarbrücken · Die neue Intendanz am Saarbrücker Theater startet mit einer markig-martialischen „Tell“-Oper. Das Publikum jubelt.

 Zu den Waffen: Rossinis „Tell“-Oper, die am Sonntag am Saarländischen Staatstheater Premiere feierte, wirkt in Saarbrücken wie eine Revolutionsoper. Auch dank des prägnanten Bühnenbildes.

Zu den Waffen: Rossinis „Tell“-Oper, die am Sonntag am Saarländischen Staatstheater Premiere feierte, wirkt in Saarbrücken wie eine Revolutionsoper. Auch dank des prägnanten Bühnenbildes.

Foto: Martin Kaufhold/Saarländisches Staatstheater/Martin Kaufhold

Zum Stichwort Tyrannenmord könnte(n) einem dieser Tage so einiges und einige einfallen. Dieser Typ im ferneren Osten etwa, der nicht bloß seine Landsleute knechtet, sondern auch noch dem Rest der Welt droht. Gleich aber hat man’s ja in dieser heiklen Frage auch mit der Moral: Wann ist der Böse böse genug, den Dolch im Gewande zu ziehen? Friedrich Schiller, im Herzen stets Rebell, war da entschieden: Sein Wilhelm Tell schießt und trifft Gessler, die personifizierte Geißel aller freiheitsliebenden Schweizer. Und das blieb auch so, als Rossini sich 1829 des Stoffes annahm – für seine letzte Oper. Danach komponierte er Geistliches.

Am Saarbrücker Theater hat Bodo Busse sich just diesen „Guillaume Tell“ ausgesucht, um seine Intendanz einzuläuten. Und Roland Schwab inszeniert die französische Grand opéra (leider bei der Premiere mit störrischer Übertitelung) als aufgekratztes Barrikadenstürmen. Passend dazu dirigiert Sébastien Rouland über weite Strecken Allez-Signale. Donnerwetter, wenn das so weiter geht mit der Busse-Intendanz, dann dürfte zumindest in der Oper richtig was los sein. Dabei ist, mal ehrlich, ein fast vierstündiger Rossini zum Saisonstart schon eine Herausforderung. Und ganz sicher kein Auslastungsgarant mehr.

Doch in dem Stoff steckt was. Und Roland Schwab, ein Schüler noch des Regie-Übervaters Götz Friedrich, versteht es, das mit radikaler Modernität herauszukitzeln. Schon die Ouvertüre fegt jegliche Schweiz-Romantik weg. Tell, der große Freiheitsheld, sitzt in Einzelhaft, verrät uns eine Projektion. Zwischen kalten Kachelwänden vegetiert er, tobt, lebt. Nur ein schon hunderte Male gefalteter Postkartenblick auf die Schweiz, sein Schatz, kann ihn noch besänftigen. Auch die Bühne sagt unmissverständlich: hier und jetzt. Eine gewellte Wand roher Bretter hat Piero Vinciguerra bauen lassen. Soll es eine Bauernstube sein, in der sich die von den Habsburgern und ihrem Statthalter „Gesler“ (die französische Oper kostet ihn ein „s“) geknebelten Schweizer sammeln? Oder sind es jene Bootsplanken, auf denen Tell bei Sturm über den Vierwaldstättersee setzt? Möglich. Es könnte aber auch, das wäre eine banale Schweiz-Assoziation, eine Lawinenschutzwand sein. Ganz gleich, Schwab versteht es jedenfalls, sie so häufig zu drehen, sie so virtuos auszuleuchten oder ins Dämmerlicht zu senken, dass diese Bühne universell taugt: auch als düsterer Wald, in dem Geslers Handlanger den alten Melchtal, Symbol des Schweizer Freiheitssehnens (würdevoll: Markus Jaursch) zur Strecke bringen. Kostümbildnerin Gabriela Rupprecht hat den frühen Eidgenossen Zielscheiben auf Brust und Rücken gehängt: Freiwild für Geslers Mannen, die sich aufführen wie Söldner in Afrika. Wer noch Zweifel hat, ob man gegen diesen Tyrannen aufbegehren muss: Schwabs Inszenierung ist eins mit Schiller.

Dabei macht es einem dieser Tell nicht leicht. Peter Schöne wirkt stets wie ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs. Kaum jemals ist er heroisch, auch dann nicht, wenn er seinem Sohn Jemmy (jungenhaft draufgängerisch: Herdis Anna Jónasdóttir) den Apfel vom Kopf schießt. Dieser Verstörte soll die Schweizer in die Freiheit führen? Schwab implementiert in den Figuren geschickt auch Zweifel an den Verschwörern. Mimisch stark, hat Peter Schöne stimmlich (noch) nicht den großen Auftritt. Bisweilen hat der Bariton Mühe, sich gegen das Orchester zu behaupten.

Zu strahlend ist aber auch das Traumpaar des Abends, Sungmin Song (Arnold Melchthal) und Pauliina Linnosaari (Mathilde). Ihre Liebe steht unter einem schlechten Stern. Der junge Melchthal hat die Habsburger Prinzessin einst gerettet, sich prompt in sie verguckt: In sie, die Repräsentantin der Unterdrücker. Hin und hergerissen schwankt er zwischen Liebe und Vaterlandsliebe. Song ist ein Tenor, der mit heißem Feuer, aber auch Eleganz über diese Gefühlsachterbahn kurvt. Und Linnosaari ein Sopran von betörender Klangsinnlichkeit. Schön, dass diese Liebe noch glücklich enden darf. Hier allerdings zeigt sich exemplarisch auch das Klischeehafte von Schwabs Regie: Mathilde steckt im blauen Lederjäckchen, trägt – vorbestimmend – ein Résistance-Béret. Sie kann wohl nicht anders, als gegen ihre Herkunft rebellieren. Auch sonst werden gern Sturmgewehre und Fahnen geschwenkt, treten die Eidgenossen mit bloßer Brust zum Kampf an – als sei man in einem sowjetischen Revolutionsspiel gelandet. So viel Pathos ermüdet dann doch. Allerdings glücken Schwab immer wieder beklemmend starke Szenen. Wenn eine junge Schweizerin (Solveig Keller) zum Spielball von Geslers Kumpanen wird, verfliegt jede Rossini-Süßlichkeit. Ein galliger Kontrast.

Sébastien Rouland dirigiert schon in der Ouvertüre bis der Schweiß perlt. Tempo, Dynamik: Er fordert viel im Graben, und das Staatsorchester nimmt nach ein paar Wacklern auch mächtig Fahrt auf. So ist man mit dem traumhaften Chor gleichauf. Rouland erweist sich aber auch als sensibler Klangmodelleur, der die lyrischen Passagen auskosten lässt, das Tête-à-tête von Arnold und Mathilde wunderbar zart zu betten weiß. Ein Dirigent? Ein Maestro!

 Zwei Neue im Ensemble, die man sich merken sollte: Pauliina Linnosaari (Mathilde) & Sungmin Song (Arnold).

Zwei Neue im Ensemble, die man sich merken sollte: Pauliina Linnosaari (Mathilde) & Sungmin Song (Arnold).

Foto: Martin Kaufhold/Saarländisches Staatstheater/Martin Kaufhold

Weitere Aufführungen: 14., 17. und 23. September. Karten unter Tel. (06 81) 3092486.

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