Freie Theaterszene Technologie als Heilsbringer
Saarbrücken · „BabylonPogo“ des „Korso-Op-Kollektivs“ punktet im Saarbrücker Garelly-Haus mit Ironie, starken Bildern und skurrilen Einfällen.
Nackte Betonwände und ebensolche Pfeiler, die den Blick versperren auf den roten Läufer in der Mitte des Raumes. Hier schiebt während des Einlasses eine Saftschubse im adretten Dienstmädchen-Dress einen Getränkewagen hin und her. Zu beiden Seiten des Teppichs, wie neben einem Laufsteg positioniert, kauert das Publikum auf nicht sonderlich kommoden Papphockern.
Das eine Ende des Läufers markiert ein Podest; dahinter ein Silberlamé-Vorhang, der sich im Laufe des Abends für faszinierende Animationen öffnet. Schräg daneben eine weitere Projektionsfläche, am anderen Ende eine Plakatwand. Zwischen diesen Polen kurvt ein fahrbares Sofa, das – von den Schauspielern als „Passagieren“ ferngesteuert – ein scheinbares Eigenleben entwickelt. Außerdem Aluglitzer und Deko-Palmen. Und dann gibt es da noch ein paar „Séparées“ in den darüber und darunter liegenden Stockwerken, etwa ein nach kaltem Zigarettenqualm miefendes Büro, auf die das Publikum während der Vorstellung verteilt wird: So sehen also die alternativen „TheaterUnräume“ im Garelly-Haus in der Eisenbahnstraße aus. Hier hatte am Samstag die erste Produktion des freien Ensembles „Korso-op.Kollektiv“ Premiere.
„BabylonPogo“ heißt die performative „Revue der Mangelhaftigkeit“, die Auftakt zu einer auf drei Jahre angelegten Trilogie sein soll: Eine „Stückentwicklung über die Hoffnungen und Absurditäten in der Beziehung des Menschen zur Technologie“, in der Interviews, selbst geschriebene Szenen, philosophische Ergüsse, Elektropop-Songs, Filmeinspielungen, Livekamera-Übertragungen und (Cyber-)Animationen mit teils chorisch rezitierten Texten aus „Unter Eis“ des Dramatikers und Theaterregisseurs Falk Richter verschnitten werden. 2016 haben sich die Schauspielerin Nina Schopka, der Bühnenbildner Gregor Wickert und der Regisseur Grigory Shklyar zusammen getan, um „den immateriellen Wert Kultur im Bewusstsein zu bewahren“, „die politische Bewusstseinsbildung über alle Klassen- und Bildungsgrenzen hinweg zu schärfen“ und „gesellschaftspolitische und soziologische Phänomene auf Augenhöhe“ zu hinterfragen. Mittel zu den hehren Zwecken ist ein Theaterkollektiv, das jenseits von Vermarktungszwängen und ohne Hierarchien auf solidarischer Basis operiert – als konsequent mag gelten, dass hier kein Eintritt erhoben wurde, sondern die Zuschauer einen freiwilligen Obolus leisten durften.
Für den ersten Teil seiner Trilogie hat das Trio nun fünf Schauspieler von außerhalb ins Ensembleboot geholt und – in Zusammenarbeit mit dem Experimental Media Lab der Hochschule der Bildenden Künste Saar – in kollektiver Regiearbeit eine multimediale Show zwischen Intellekt und Trash, Pathos und Sarkasmus, Realität und Fiktion kreiert. Es ist die Vision einer Zukunft, in der alles auf Selbstoptimierung, Leistung, Effektivität und Machbarkeit ausgerichtet ist. Technologie als Heilsbringer soll das mentale und physische Shaping richten: Schluss mit Hunger, Armut, Umweltverschmutzung; biologische und räumliche Grenzen werden aufgehoben, alles soll „größer, blonder, klüger“ werden. Maximalziel: das ewige, körperlose Leben; hier symbolisiert von einem geflügelten Einhorn, quasi einem postmodernen Pegasus, als Götzen. Motto: „Wir schaffen das!“ Doch während die einen angesichts dieser evolutionären Revolution vom Übermenschen fantasieren, fürchten die anderen den Untergang der Menschheit.
Es beginnt biblisch: Gott (Markus Müller), in einem Auto sitzend, verweist Adam (Nicolas Marchand) und Eva (Katrin Flüs) des Paradieses. Sie landen in einer Show des Machbarkeitswahns, deren Moderatorin (Nina Schopka) außerdem die ineffektive, „völlig überdrehte Medien-Demokratie“ und die Blockadetaktik der Lobby-gesteuerten Presse verurteilt. Drastischer Auswuchs optimierten „Humankapitals“ ist die als allzeit funktionstüchtige Lebenspartnerin gefeierte Sexpuppe Harmony (entworfen und geführt von Elodie Brochier) – beim Publikum lösen die pornografischen Szenen Amüsement bis Ekel aus. Am Ende wird Gott erschossen, der Deus ex Machina verselbständigt sich, Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem weiteren Lauf der Geschichte bleiben unbeantwortet.
Warum Nina Schopka teils barbusig agiert und Elfie Elsner mit Karnickelohren und Hasenblume als Karikatur eines Playboy-Bunnys herum läuft, bleibt spekulativ. Insgesamt jedoch punktet das „Korso-Op-Kollektiv“ mit Ironie und starken Bildern dank skurriler Ausstattungsideen und beeindruckender technischer Tricks und fordert seinem Publikum einiges ab – ein frischer, nicht eben linder Wind weht jetzt in der hiesigen Theaterlandschaft.