Literaturtage im Saarland: Stefan aus der Siepens „Unzeitgemäße Erzählungen“ Sonderlinge verdienen sonderbare Worte

Saarbrücken · Literaturfestival „erLesen“: Morgen liest der Diplomat Stefan aus dem Siepen in Saarbrücken aus seinen „Unzeitgemäßen Erzählungen“.

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Foto: verlag/Verlag

Schon die Auftaktgeschichte des Bandes löst mustergültig dessen Untertitel „Unzeitgemäße Erzählungen“ ein: „Der Mann mit den zwei Daumen“ ist eine Zirkusparabel, die ganz vortrefflich unsere Erwartung konterkariert. Seitenlang preist Stefan aus dem Siepen die famosen Fähigkeiten eines Artisten, der alle anderen Spaßmacher, Kraftmeier und Tierbändiger verblassen lässt und sein Publikum Mal um Mal zu Ovationen hinreißt. Ehe er auftritt, bricht der Text ab. Ob der Daumen-Mann überhaupt was kann?

Auch das letzte der elf Prosastücke des als Diplomat im Außenministerium tätigen Juristen führt uns in die Manegenwelt zurück: Diesmal ist es ein Entfesselungskünstler, der wie der Daumen-Mann an der Absehbarkeit seiner künstlerischen Wirkung leidet. Nichts gelüstet ihn mehr, als einmal zu scheitern und im Aushalten seiner Niederlage „den größten Sieg, der ihm je zuteil geworden ist“ auszukosten. Über allen Gipfeln ist Ruh’ – ja, aber genau das kann auch ermüden und die Sehnsucht wecken, die eigene Fallhöhe zu erproben.

Es sind Sonderlinge, denen der bislang insbesondere mit drei ebenso spleenigen wie der Sprachartistik frönenden Romanen in Erscheinung getretene aus dem Siepen diesmal eine Bühne bereitet. Die titelgebende längste Erzählung „Aufzeichnungen eines Käfersammlers“ seziert in kreisenden Bewegungen das Scheitern eines in einer einsamen Försterei lebenden, monomanischen Insektensammlers daran, das zerstörerische Werk der Zeit auszuhebeln. Im Tod sollen die von ihm gefangenen Weidenbläulinge (und anderen Käfer) fortleben – ihre Schönheit konserviert werden, sie der Vergänglichkeit trotzen. Muss man noch erwähnen, dass es eine Sisyphosgeschichte ist, die der 54-Jährige da erzählt? Auch die beiden anderen ausgedehnteren Prosa-Etüden weiden sich am schleichenden Ausstellen existenzieller Vergeblichkeit: Ist es in „Die Unsichtbare Frau“ ein autistisches, gewohnheitsmäßig übersehenes Mädchen, dessen einsames Los sepiafarben ausgemalt wird, setzt „Tod des Professors“ scheinbar alles daran, eben diesen „Schlussakord der Selbstgefälligkeit“ in die Länge zu ziehen.

Beide Erzählungen kommen in einem altmeisterlichen Ton daher, der bisweilen an Schnitzler erinnert und mit spitzen Fingern Adjektive Nadeln gleich setzt, um daran seine atmosphärisch mit viel Bedacht aufgeladenen Erzählbilder festzupinnen: „Mokantes Lächeln“, „biedermeierliches Gerede“, „huldvolles Licht“, „hinterhältiger Wind“ – lesend flaniert man dazwischen umher. Man hat aus dem Siepen vorgehalten, seine Literatur sei absehbar. Auf der Handlungsebene ist sie es. Doch scheint genau dies Absicht. Lenkt es unser Augenmerk doch umso mehr auf die Eleganz seines Tons.

Stefan aus dem Siepen: Aufzeichnungen eines Käfersammlers. Unzeitgemäße Erzählungen. dtv. 219 Seiten, 21 €.
Lesung morgen (19 Uhr) im Saarbrücker Theater im Viertel (Landwehrplatz 2).
Heute bereits lesen Jules Vitrac (alias Veronika Rusch) aus „Der Teufel von Eguisheim“ (1930 Uhr, Stadtbibliothek Saarbrücken) und Julia Jessen aus „Architektur des Knotens“ (Theater im Viertel).

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