Deutsche Radio Philharmonie „So grandios wie möglich“

Saarbrücken · Am Sonntag stellt sich Pietari Inkinen, der neue DRP-Chef, in Saarbrücken vor. Wir haben bei einer Probe zugeschaut.

 Könnte auch ein Musikstudent sein, so lässig in Jeans und Shirt, doch Pietari Inkinen ist der neue Chef der Radio Philharmonie. Auch der Mann rechts ist ein Neuer: Ermir Abeshi, der neue DRP-Konzertmeister.

Könnte auch ein Musikstudent sein, so lässig in Jeans und Shirt, doch Pietari Inkinen ist der neue Chef der Radio Philharmonie. Auch der Mann rechts ist ein Neuer: Ermir Abeshi, der neue DRP-Konzertmeister.

Foto: Astrid Karger

Der größtmögliche Gegensatz hätte es werden können, ein Gefühlswechselbad am Chef-Pult der Deutschen Radio Philharmonie (DRP). Von hitzig zu nordisch kühl. Der Vorgänger, Karel Mark Chichon, ist zwar dem Pass nach Brite. Ansonsten aber, seiner Heimat Gibraltar und seinem Wohnort Malaga verpflichtet, mit erheblichem mediterranen Erregungspotenzial gesegnet. Entsprechend feurig dirigierte er. Und jetzt also ein Finne. . .

Doch, nein, es droht kein kalter Guss am Sonntag. Pietari Inkinen dreht am Pult so auf, als habe ihn ein 110-Grad-Saunagang aufgeheizt. Wieder und wieder federt er bei der Probe gestern aus dem Dirigentenstuhl in die Senkrechte, maximal gespannt, will noch mehr. Forte etwa, mehr brio, satteren Klang. Und malt sicherheitshalber mit den Armen schwingend nach, was er meint. Weil ihm das Gummiwort „elastisch“ mit herbem finnischen Akzent nicht ganz so geschmeidig über die Lippen geht. Er sorgt sich noch ein bisschen, dass bei seinem Saarbrücker Antrittskonzert in der ausverkauften Congresshalle vom dort spärlichen Hall zu viel geschluckt werden könnte. Doch die DRP legt nach, kaum, dass Inikinen nur andeutet: Ja, so herrlich frisch klingt eben Anfangsfreude. Die sich da quasi noch potenziert. Hat das Orchester neben Dora Bratchkova nun ja auch noch einen neuen Konzertmeister, Ermir Abeshi.

Für Inkinen, den Absolventen der Silbelius-Akademie in Helsinki, sind erste Male aber schon Routine. Künstlerischer Leiter des  New Zea­land Symphony Orchestra war er schon. Seit 2016 ist er Chef des Japan Philharmonic Orchestra, ein Jahr länger bereits ist er bei den Prager Symphonikern wie auch bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen taktangebend. Ganz zu schweigen davon, wo er bereits überall als Gast debütierte: Von A wie Amsterdamer Concertgebouw Orchestra, über Dresdner Staatskapelle und Gewandhausorchester, bis zu S wie Scala di Milano, buchstabiert sich Inkinens Orchester- und Bühnen-ABC bereits beeindruckend komplett. Diese Liste könnte man noch lange fortschreiben und ergänzen. Ist der Finne ja auch noch ein Top-Geiger. Wo nimmt der 37-Jährige bloß die Zeit für all das her? Und kann da ein erstes Mal als Chef eigentlich noch was Besonderes sein? „Ja“, antwortet er entschieden, „die DRP ist ein besonderes Orchester, und es fühlt sich sehr gut an, es ist eine gute Spannung.“

Doch noch etwas kommt hinzu. Schließlich führt er bei seiner Premiere als neuer Chefdirigent des Rundfunkorchesters, das SR und SWR gemeinsam tragen, auch das Vermächtnis eines Landmanns erstmals auf. Einojuhani Rautavaaras letztes Werk, „seine letzte sinfonische Reise“, sagt Inkinen. Die wird sein Start in Saarbrücken und Kaiserslautern sein. Für ihn auch ein Moment der Ehrfurcht. Der große finnische Komponist hat das Werk nämlich für seinen jungen Landsmann und dessen Orchester geschrieben. Schon als Inkinen 2008 beim New Zealand Symphony Orchestra begann, komponierte Rautavaara für ihn. Als sich abzeichnete, dass er Chef der DRP werden würde, rief er Rautavaara an, bat nochmal um neue Musik. Obwohl der da des Noten Schreibens schon müde war. „Eine halbe Stunde am Tag setzte er sich damals noch ans Klavier zum Komponieren“, erzählt Inkinen. Doch der Dirigent bat und bat – und bekam die Zusage. „Selbst, wenn er nur eine Fanfare komponiert hätte, hätten wir sie gespielt.“

Dann aber starb Rautavaara im Juli 2016. Und der Dirigent musste annehmen, dass damit auch das versprochene Werk hinfällig war. Schließlich aber rief ihn Rautavaaras Witwe an: Ihr Mann habe das Werk, das den geradezu symbolischen Titel „In the beginning“ trägt, noch vollenden können. Eine Komposition, die die finnische Seele atmet, mit ganz eigener Rhythmik, dunkel-mystischen Klängflächen. „So grandios wie möglich“, treibt Pietari Inkinen seine DRP-Musiker da in der Probe nochmal an. Man spürt, dieses Werk soll viel mehr als nur eine Visitenkarte sein. Es ist ihm Herzenssache.

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