Gabriel Prokofiev, Saarbrücker „Artist in Focus“ Wenn sich DJ-Kunst mit einem Orchester paart

Saarbrücken · Sergej Prokofievs Enkel Gabriel gab in Saarbrückens Alter Feuerwache ein denkwürdiges Konzert mit dem Saarländischen Staatsorchester.

  Der Mann am Laptop: Komponist Gabriel Prokfiev (li.) während des Stückes „Beethoven Neunte Sinfonie – Remix“ am Sonntagabend in der Alten Feuerwache.

Der Mann am Laptop: Komponist Gabriel Prokfiev (li.) während des Stückes „Beethoven Neunte Sinfonie – Remix“ am Sonntagabend in der Alten Feuerwache.

Foto: Sebastian Dingler

Ist der Fortschritt in der klassischen Musik am Ende, weil ja doch irgendwie alles schon mal da war? Nein, sagt Gabriel Prokofiev dazu. Ähnlich wie sein berühmter Großvater Sergej verbindet der 43-jährige Londoner klassische Musik mit aktuellen Stil-Entwicklungen. War es bei Sergej zu dessen Zeit noch der Jazz, der Eingang in seine Werke fand, benutzt der Enkel heute elektronische Sounds und DJ-Kunst für seine Orchesterstücke.

Die Geschichte, weshalb der junge Prokofiev ein waschechter Brite ist, erzählte dieser am Rande der Saarbrücker Proben zu seinem Konzert mit dem Saarländischen Staatsorchester: Sein Vater habe einst in der Sowjetunion eine Engländerin heiraten wollen. Er selbst war ein abstrakter Maler, der nicht-konforme Kunst machte und deswegen nicht ausstellen durfte. Erst nach siebenjähriger Wartezeit wurde die Heirat genehmigt, doch bereits ein Jahr später starb seine Frau. Die Beerdigung in England war dann die Chance zur Flucht vor dem sowjetischen Regime. Auf der Insel lernte er dann Gabriels Mutter kennen.

Die Sache mit dem Solo-DJ ist in der Tat etwas Neues. Prokofiev erklärte dazu, dass er früher in verschiedenen Bands gespielt und auch elektronische Musik und HipHop produziert habe. Aber seine Leidenschaft sei immer die klassische Musik gewesen, darin sehe er mehr künstlerische Freiheit für sich. Sein „Concerto for Turntables and Orchestra“ verglich er mit Mozarts Klarinettenkonzert. Die Klarinette war damals ein recht neues Instrument und Mozart wollte in Zusammenarbeit mit einem Soloklarinettisten ihre Möglichkeiten ausloten. „Das ist ganz genau das Gleiche, was ich jetzt gemacht habe“, sagte Prokofiev. Mit dem DJ Mr Switch arbeitete er verschiedene DJ-Techniken durch und verarbeitete sie ganz klassisch in den vier Sätzen des Konzerts, das Prokofiev in seiner Eigenschaft als „Artist in Focus“ des Saarländischen Staatsochesters am Sonntagabend in der Alten Feuerwache gab.

Darin kam sein „Concerto for Turntables and Orchestra“ ebenso zur Aufführung wie vier andere aus Prokofievs Feder. Bei „Spheres“ hatte Wolfgang Mertes, Konzertmeister des Staatsorchesters, sein Solo. Nach „A Turner“, einem Stück für Streichorchester, ging Mr Switch an seine „Plattenspieler“, die sich alsbald als digitale Wundergeräte entpuppten: Denn irgendwelche LPs wechseln musste er dabei nicht. Vielmehr demonstrierte Dirigent Justus Thorau anhand von Mikrofonaufnahmen von Zuhörern, wie Mr Switch es schaffte, live aufgenommenes Material in DJ-Manier zu verfremden. Er verwendete im Stück ausschließlich die Klänge des Orchesters und sorgte mit irre schnellen Handbewegungen dafür, dass sein Instrument und der klassische Klangkörper eine Einheit bildeten. Das hatte viel Tempo und Groove, aber auch sanfte Passagen, in denen der DJ Flöten- und Oboentöne aufgriff und mittels der Tonhöhenveränderung Melodien hinzufügte. Dafür gab es viel Applaus bei den leider nur etwa 130 Zuhörern.

Nach der Pause sorgte Cellistin Sarah Wiederhold für bleibende Eindrücke. Sie hatte die schwere Aufgabe, in Prokofievs Komposition „Cello Multitracks“ das Live-Instrument zu spielen, während acht weitere Celli aus einem Laptop stammten, den der Komponist selbst bediente. Das Cello als E-Gitarre, Bass-Synthesizer oder Gesangstimme wollte der Komponist darstellen und die stellvertretende Solocellistin des Staatsorchesters tat ihm diesen Gefallen mit außergewöhnlicher Bravour. Allein die Konzentration in ihrem Gesicht zu sehen war beeindruckend. Wie eine Maschine spielte Wiederhold die rhythmisch schwierigsten Passagen – ihr perfektes Timing hatte Prokofiev schon tags zuvor bei der Probe gelobt.

Zum Finale spielte der Komponist selbst eine entscheidende Rolle bei seinem „Beethoven-Remix“ der neunten Sinfonie. Während das Orchester Versatzstücke des berühmten Werks lieferte, kamen von Prokofievs Laptop verfremdete Aufnahmen des Chors aus der Neunten. Eine Antwort des 21. Jahrhunderts auf Beethoven, eine Reise aus dessen Zeit bis heute wollte Prokofiev damit wagen, etwas Strawinsky und gar James Brown hineinmischen. Und Beethovens „Türkischen Marsch“ aus dem Original – ganz aktuell – in einen arabischen Marsch umwandeln. Das war nicht immer einfach nachzuvollziehen, wiewohl die Fetzen aus Beethovens Werk gut erkennbar waren. Insgesamt aber gestaltete sich der Konzertabend als großes Erlebnis, hatte man doch vielleicht auch eine Antwort auf die Frage gefunden, was Sergej Prokowjef heute machen würde: in London leben und mit DJs zusammenarbeiten.

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