Weltkulturerbe Völklinger Hütte „Es gibt einen neuen Ruinen-Kult“

Völklingen · Sie ist wie guter Wein, sie wird mit den Jahren immer besser. Das sagt einer der international führenden Industriekultur-Experten über die Völklinger Hütte. Neil Cossons Vortrag beendete die Ringvorlesung im Weltkulturerbe.

Man wünschte sie am Dienstagabend herbei, die Landtagsabgeordneten, Bürgermeister, die kommunalen Wirtschaftsförder-Manager und  RAG-Verantwortlichen. Kurz alle, die im Saarland die Weichen stellen für Industriekultur. Auf dass sie infiziert würden. Denn was Neil Cossons,  Großbritanniens führender Experte auf dem Gebiet des industriellen Erbes, als Abschluss der  Ringvorlesung „Industriekultur, quo vadis?“ ins Weltkulturerbe Völklinger Hütte mitbrachte, war keine wissenschaftliche Essenz, sondern Emotion pur. Cossons transportierte – vorzüglich simultan übersetzt – Begeisterung für sein Fach, die Zuhörer in der Gebläsehalle nahm er mit auf eine fotografische Weltreise, zeigte Belfaster Werften und zentralmexikanische Arbeiter-Siedlungen, australische Goldgräberstädte, neuseeländische Viadukte, eine Corned-Beef-Fabrik in Uruguay.

Man verfolgte einen staunenswerten Bilderbogen, dafür gemacht, Cossons zentrale Aussage zu belegen: Industriekultur sei ein globales Phänomen, es gebe eine „internationale Dimension der Industrieprozesse“. Er trat den Beweis an, stellte Bezüge her und legte ähnliche Strukturen frei: der Rohstoff-Förderung, des Transports, des Produzierens oder der  Fabrik-Architektur. Und überall auf der Welt, davon ist Cossons unumstößlich überzeugt, entwickelt sich ein wachsendes Interesse an den Relikten des Industriezeitalters. Zuletzt in Japan, wo Cossons als Berater tätig ist. Seinen Ruf als Industriekultur-Pionier begründete er als erster  Direktor des legendären Iron-Bridge-Museums  – der ältesten  Eisenbrücke (1779) der Welt.

Der Industriekultur-Experte lieferte freilich keine Fakten für seine optimistische These, die Industriekultur sei im Aufwind, zudem sei sie wie guter Wein. Die erhaltenen Denkmäler reiften und würden mit den Jahren immer besser. Das gilt laut Cossons auch für die Völklinger Hütte, die er vor rund 20 Jahren das erste Mal besuchte. Die Quantität der Beispiel-Fälle, die Cossons im Bild präsentierte, musste genügen – und genügte. Man wollte sich der „Magie“ der Orte, von der er mehrmals sprach,  gar nicht entziehen. Später, im Publikumsgespräch, lieferte Cossons – zumindest für Großbritannien – noch ein maßgebliches Argument für seine Zuversicht nach: In seiner Heimat sind fünf Millionen Menschen im „National Trust“ für das historische Erbe engagiert. Mit ihnen legt sich  kein Politiker an, wenn es um (Industrie-)Denkmäler geht.

Cossons hob zudem ab auf die Faszination, die Ruinen seit je auf Menschen ausüben. Im 18. Jahrhundert waren Kupferstiche, die antike Tempel-Relikte in Rom oder Griechenland zeigten, Publikums-Renner; dann berauschte sich die Romantik  an geheimnisvoll aufgeladenen malerischen Trümmer-Landschaften. Im 20. Jahrhundert bevorzugte man dem hingegen atmosphäregereinigte Sterilität, unter anderem sichtbar in der sachlichen Industriebauten-Fotografie von Bernd und Hilla Becher.  Laut Cossons unterliegt der Blick auf Ruinen also  „mentalen Temperaturschwankungen“. Er hält fest:  „Es gibt einen neuen Kult um die Ruine.“

 Den Hauptvorteil von Industrie- Monumenten sieht Cossons in deren  Umwidmungs-Möglichkeit. Sogar Wohnen auf dem Dach riesiger Fabriken sei möglich. „Es gibt immer eine Antwort, wenn man lange genug wartet und seine Fantasie bemüht“, sagte er. Die nächste Herausforderung für die Industriekultur sieht Cossons jetzt, nachdem die Epoche der Kohleverstromung zu Ende geht, im Erhalt von Kraftwerken und Kühltürmen. Neunutzungs-Antworten erwartet Cossons aus Deutschland, es könne die Vorreiterrolle einnehmen. Denn: „Die Deutschen sind die Besten im Erhalt von Industriekultur. Das ist ihre Ahnentafel als große Industrienation.“ Komplimente gab es noch mehr, mehrfach für das Völklinger Weltkulturerbe. „Es ist ein brillanter Ort. Ich möchte Sie von Herzen beglückwünschen. Es ist wirklich erstaunlich, was Sie vollbracht haben!“ Doch wie geht es im alten Eisenwerk weiter? Darauf gab’s an diesem Abend keine Antwort.

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