Rede an die Nation Wie Putin für Unruhe im Westen sorgen kann

Moskau  · Lange Zeit war es Russlands Ziel, die USA und Europa auseinanderzudividieren oder einen Keil zwischen sie zu treiben. Inzwischen gibt es den alten Westen kaum noch, zumindest nicht als politischen Akteur.

Er zerlegt sich selbst. Davon profitiert vor allem Wladimir Putin. Viel muss der Präsident nicht unternehmen, um für Unruhe zu sorgen.

Eine Rede der Nation halten zum Beispiel. Gestern wiederholte er da­rin in Moskau die alten Vorwürfe, der Westen hätte den INF-Mittelstreckenvertrag gebrochen. Und mit der Ankündigung weiterer neuer Waffensysteme warnte er die USA in aller Schärfe vor einem neuen Rüstungswettlauf. Sein Land habe für jede Bedrohung die passende Antwort parat. Sollten die USA etwa in Polen und Rumänien Mittelstreckenraketen stationieren, dann könne Russland seine Raketen als Antwort nicht nur auf die Stützpunkte dort richten. Ins Visier nehme das Land dann auch die Kommandozentralen, sagte Putin.

Die USA sollten sich keine Illusionen machen, dass sie mit ihrer Raketenabwehr militärische Überlegenheit erlangen könnten. „Die Antwort unseres Landes wird immer wirksam und effektiv sein“, betonte Putin vor den geladenen Gästen.

Russland hat zwar Vorwürfe zurückgewiesen, über die laut Vertrag verbotenen landgestützten und atomar bestückbaren Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer) zu verfügen. Aber das Waffenportfolio, das Putin im Tagungszentrum Gostiny Dwor unweit des Kremls aufzählt, lässt die Gäste beeindruckt aufhorchen: Neben dem neuen Atom-U-Boot und dem unbemannten Waffensystem „Poseidon“ nennt er die Namen ultramoderner Waffen wie „Avantgarde“, „Kinschal“, „Pereswet“ und „Zirkon“. Was die Nato und die USA warnen soll, ist zugleich und vor allem als Beruhigung für besorgte Russen gedacht.

Im Mittelpunkt der „poslanie“, der Adresse an die Nation, steht diesmal aber das Volk. Seit der Erhöhung des Rentenalters für Männer von 60 auf 65 und für Frauen von 55 auf 60 Jahre im Juni vergangenen Jahres zum Auftakt der Fußball-WM ist es enttäuscht. Putins zuletzt deswegen gesunkenen Zustimmungswerten tritt er entgegen, indem er etwa eine bessere medizinische Versorgung verspricht. Geschätzte Mehrausgaben von umgerechnet rund zwei Milliarden Euro sind für diese und andere soziale Wohltaten nötig, wie Regierungspolitiker ausrechneten. „Der Staat sollte den Leuten helfen“, sagte Putin. Er sprach auch davon, dass es Bürger gebe, die sich keine Kleidung, Medikamente und sogar kein Essen leisten könnten. Klar wird aber auch bei dieser Rede, dass Putin nur sich selbst zutraut, die Probleme des Landes zu lösen.

Dass Putin 2024 tatsächlich auszieht aus dem Kreml, weil dann die laut Verfassung letzte Amtszeit endet, sieht der Großteil der Elite bisher nicht. Viele verbinden mit ihm  die Hoffnung, dass er das Land in eine glanzvolle Zukunft führt.Kaum einer machte das zuletzt deutlicher als Wladislaw Surkow, einer der führenden Ideologen im Kreml. In einem von politisch interessierten Kreisen heiß diskutierten Artikel rief er den Putinismus als Jahrhundertprojekt aus. Das eigne sich sogar als Exportschlager für andere Länder. Schon jetzt orientierten sich viele regierende Politiker und Oppositionelle im Ausland an Putin. Mit ihm sei ein Staat neuen Typs entstanden, „wie es ihn noch nie gab“, jubelte Surkow vor einigen Tagen in der „Nesawissimaja Gaseta“.

Nun hat der Kremlchef zwar selbst daran erinnert, dass sein Leben endlich ist. Doch eine Alternative zu Putin ist nicht in Sicht – schon gar nicht in der zersplitterten Opposition. Trozt des Wohlwollens der Elite muss Putin innenpolitisch inzwischen aber vorsichtiger sein. Die Russen schätzen ihre Rüstungsgüter. Wären sie aber auch bereit, dafür auf Annehmlichkeiten zu verzichten?

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