Saarländisches Staatstheater Psycho-Soap mit berückenden Tönen

Saarbrücken · Diese Psycho-Soap wäre nicht leicht zu ertragen, gäbe es dazu nicht die Musik Korngolds: Die Oper „Die tote Stadt“ feierte am Samstag Premiere im Staatstheater.

 Michael Siemons (Paul) und Pauliina Linnosaari (Marietta/Marie) in der Korngold-Oper „Die tote Stadt“ im Saarländischen Staatstheater.

Michael Siemons (Paul) und Pauliina Linnosaari (Marietta/Marie) in der Korngold-Oper „Die tote Stadt“ im Saarländischen Staatstheater.

Foto: Andrea Kremper/ANDREA KREMPER

Mit gerade mal 23 Jahren hat Erich Wolfgang Korngold die Oper „Die tote Stadt“ geschrieben. Ein Geniestreich, angelehnt an Georges Rodenbachs Novelle „Bruges la Morte“, auf ein komponierbares Libretto konzentriert von Korngolds Vater, einem gefürchteten Wiener Musikkritiker. Am Samstag war Premiere im Saarländischen Staatstheater. Inhaltlich mag es viele Einflüsse geben wie die „Fin-de-siècle“-Stimmung in Wien oder Siegmund Freuds Psychoanalyse und Traumdeutung des Unterbewusstseins. Sollte Wien statt Brügge gemeint sein?

Bevor sich der Vorhang hebt, weckt ein „Ewiges Licht“ am Bühnenrand Aufmerksamkeit. Dann ein beunruhigendes Szenario: Ein Ehe-Mausoleum, eine „Kirche des Gewesenen“. Aufstrebende Seitenwände mit Fensternischen, die Protagonist Paul mit Grableuchten und allerhand Reliquien seiner verstorbenen Ehefrau Marie voll gestopft hat. Im Hintergrund ein Altar: Kreuz, Kerzen und ein Allerheiligstes, dem zum Zopf geflochtenen Haar Maries. Seitlich das Ehebett, in dem Marie als Puppe ruht. Bald wird deutlich, was Regisseur Aron Stiehl bewegt: Nicht nur das Psychodrama, das Verschwimmen von Traum und Realität, sondern auch der verderbliche Sog katholischer Riten und Symbolik. Zu Beginn versucht Freund Frank vergeblich, Paul aus seiner Trauer zu holen. Dann tritt Tänzerin Marietta, die Marie gleicht, in den Mittelpunkt. An ihr entzünden sich Pauls Fantasien. Sie wird zu Marie, umgarnt ihn, schürt Leidenschaft, macht ihn lächerlich, reicht ihm als Madonna gar die Kommunion, ihren Leib. Ihre muntere Gauklertruppe parodiert und kommentiert dezent Sexistisches. Pauls korrekte Haushälterin erscheint scheinheilig als Teufelin, Frank als pferdehufiger Gottseibeiuns. Paul erschießt sie. Der Tagtraum geht weiter. Ziehen da etwa die Loreley, die Rheintöchter, Parsifal im Hintergrund – auf Leinwand gemalt – vorüber? Sind die Nonnen lasziv verkleidete Stripperinnen?

Wenn im dritten Akt Marie kopflos am Kreuz hängt, eine ferne Prozession von naivem Kinderchor begleitet wird, Paul sich reuig vor den Altar wirft und grinsende schwarze Bischöfe durch die seitlichen Fenster locken, dann wird es Zeit für Paul, aufzuwachen, seinen Traum zu zerstören. Er erwürgt Marietta und damit Marie mit ihren Haaren. Marie entschwindet in gleißender Unendlichkeit, Paul ist gerettet und kann mit Frank die Stadt verlassen.

Diese Psycho-Soap wäre nicht leicht zu ertragen, gäbe es dazu nicht die Musik Korngolds. Ein keckes Nebeneinander vieler Einflüsse: Strauss, Wagner, Puccini bis Berg und Debussy, ja sogar Lehar. Eine große Aufgabe für das Staatsorchester, das von Kapellmeister Justus Thorau gut vorbereitet über alle Untiefen in unablässig pulsierendem Erzählstrom geführt wird. Michael Siemons heller Tenor hat das Stehvermögen, das die Rolle des Paul erfordert, auch wenn seine Darstellung neurotische Aura etwas vermissen lässt. Pauliina Linnosaari glänzt mit kraftvollem Sopran in einer beherrscht erotischen Marietta/Marie. Einen stattlichen Frank gibt Bariton Peter Schöne und Judith Brauns strömender Alt repräsentiert eine solide Haushälterin. Das eindrucksvolle und funktionale Bühnenbild hat Nicola Reichert geschaffen, die stimmigen Kostüme Sven Bindseil. Alle anderen Rollen sind adäquat besetzt und tragen zum Gelingen dieser spannenden Inszenierung bei. Viele Vorhänge spiegelten die einhellige Begeisterung des Publikums.

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