Oscar-Rückschau Politik, Pathos und der „inclusion rider“

Los Angeles · Die 90. Oscarverleihung wurde zum Triumph für den Film „Shape of Water“. Doch die Filmpreise schienen oft weniger wichtig als das Werben für ein Umdenken, was Geschlechterrollen, Diversität und den Umgang mit Minderheiten angeht.

   Der Potsdamer Trick-Künstler Gerd Nefzer, prämiert für „Blade Runner 2049“.

Der Potsdamer Trick-Künstler Gerd Nefzer, prämiert für „Blade Runner 2049“.

Foto: dpa/Jordan Strauss

Ein kleiner, aber vielsagender Moment war das: Da sagte Schauspielerin Geena Davis in einem Einspieler, dass damals, als „Thelma & Louise“ (1991) mit ihr und Susan Sarandon in den Hauptrollen startete, ihr jeder prophezeite, dass nun endlich viel mehr Filme mit den großen, den ganz großen  Frauenrollen gedreht würden – „aber es ist nicht passiert“. Das sollte man bedenken, bevor man diese Oscar-Verleihung zum Symbol eines Wandels bei den festgefügten  Geschlechterrollen in der US-Filmindustrie hoffnungsvoll hochstilisiert. Ob sich etwas grundlegend ändert an den Strukturen und an der Unterrepräsentanz von Frauen, ethnischen und sexuellen Minderheiten? Das werden erst die nächsten Jahre zeigen.

Zumindest kann sich diese 90. Oscarverleihung nicht vorwerfen lassen, nicht heftig geworben zu haben für einen Wandel. Am energisch­sten Frances McDormand: Sie gewann den Darstellerinnen-Oscar für „Three billboards outside Ebbing, Missouri“ als Mutter, die nach dem Mord an ihrer Tochter einen Kleinkrieg mit dem untätigen Sheriff beginnt. McDormand, nach eigenen Angaben knapp vorm Hyperventilieren, bat alle an diesem Abend nominierten Frauen aufzustehen, um auf sich aufmerksam zu machen, und alle Hollywood-Mächtigen, sich mit ihnen demnächst zu treffen und deren Ideen zu finanzieren. Und dann äußerte sie noch den ominösen Begriff „inclusion rider“, der danach wohl tausendfach gegoogelt wurde. Was ein bisschen wie ein Motorradtyp klingt, ist laut britischem „Guardian“ ein Verlagspassus, nach dem Schauspieler bei Filmproduktionen hinter und vor der Kamera mehr Diversität fordern können, ob ethnisch oder geschlechtlich. Nach McDormands Auftritt kann jedenfalls niemand mehr sagen, er wisse von nichts.

#MeToo und die Debatte um sexuellen Machtmissbrauch in Hollywood waren ein zentrales Thema im Dolby Theatre in Los Angeles. Der Auftritt von Ashley Judd, Salma Hayek und Annabella Sciorra war da der Schlüsselmoment des Abends: Sie gehören zu den ersten Darstellerinnen, die mit Vorwürfen sexueller Gewalt gegen den Produzenten Harvey Weinstein an die Öffentlichkeit gingen und die #MeToo-Debatte anschoben. Das Trio kündigte einen kleinen Film an, in dem auch andere Künstlerinnen von einem Klima der Belästigung und des Machtmissbrauchs berichteten (nicht nur unter Weinstein). Es waren die beklemmendsten Momente des Abends – und dankenswerterweise unpathetisch, ganz anders als einige Musiknummern, etwa „This is me“ aus dem Film „The greatest showman“. Irgendwann hatte man deren Botschaft, dass wir alle verschieden sind, aber jeder das Recht auf Respekt hat, verstanden.

Moderator Jimmy Kimmel schlug sich gut. Die Idee, mit ein paar Stars in ein Filmtheater nebenan zu gehen, um dort ein paar Kinogänger zu überraschen und mit Popcorn zu versorgen – so volksnah kann Hollywood sein – geriet zwar etwas lang. Aber Kimmel war ein Gewinn. In seinem Eingangsmonolog klärte er auf, dass in diesem 90. Jahr der Oscars zum ersten Mal eine Kamerafrau nominiert ist (Rachel Morrison, die dann nicht gewann) und pries die goldene Oscar-Statue als den idealen Mann schlechthin: „Er ist immer höflich und hat keinen Penis“.

Für den mexikanischen Regisseur Guillermo del Toro wurde es ein großer Abend: Bei 13 Nominierungen gewann sein Film „Shape of Water“ vier Mal (darunter Regie und bester Film); Gary Oldman wurde wie erwartet für sein Churchill-Porträt in „Darkest Hour“ prämiert, und ein Oscar ging in Richtung Potsdam: an Gerd Nefzer, der für die Tricks in „Blade Runner 2049“ ausgezeichnet wurde. Christopher Nolans Kriegsfilm „Dunkirk“ gewann drei Mal (Ton, Tonschnitt, Schnitt), während Steven Spielbergs Polit-Thriller „Die Verlegerin“ (zwei Nominierungen) leer ausging – ebenso wie, und das überraschender, Greta Gerwigs Jugendfilm „Ladybird“, der fünf Mal nominiert wurde, unter anderem für die beste Regie. Es war das erste Mal seit acht Jahren, dass eine Regisseurin nominiert wurde.

Was waren die anderen denkwürdigen Momente? Auftritte etwa, die einem die Angst vor dem Alter nehmen konnten – von einer frischen Eve Marie Saint (93 und damit reifer als die Oscars) und von Jane Fonda, auch schon 80. Überraschend war eine Montage aus Hollywood-Kriegsfilmen, verbunden mit dem Dank an alle US-Soldaten, die laut Schauspieler Wes Studi „für die Freiheit überall in der Welt  gekämpft haben“; das wirkte insgesamt, als wolle Hollywood jenen Konservativen die Hand reichen, die die Filmindustrie gerne einen Sündenpfuhl liberaler Weicheier nennen. Das war etwas befremdlich. Und warum Jimmy Kimmel ausgerechnet Steven Spielberg nach ein bisschen Marihuana fragte, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Aber witzig war es schon.

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