SST-Weihnachtsmärchen So macht die olle Mondfahrt doch Laune

Saarbrücken · Jean Renshaws Version von „Peterchens Mondfahrt“ gerät am Saarländischen Staatstheater nicht zum betulichen Kostümschinken.

  Szene mit Moritz Peschke (Peterchen), Thorsten Köhler (Sumsemann), Helene Aderhold (Anneliese).  

Szene mit Moritz Peschke (Peterchen), Thorsten Köhler (Sumsemann), Helene Aderhold (Anneliese).  

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Pinocchio, Räuber Hotzenplotz, Pippi Langstrumpf, Drei Nüsse für Aschenbrödel, Ronja Räubertochter, Die kleine Hexe – nein, einen Innovationspreis für zeitgenössische Weihnachtsmärchen wird das Saarländische Staatstheater mit dem Gros seiner Auswahl der letzten Jahre nicht gewinnen. Und jetzt noch so ein progressiver Stoff: „Peterchens Mondfahrt“, eine olle Kamelle von 1911 mit brandaktuellem Aufhänger (die Wiederbeschaffung einer abhanden gekommenen Käferextremität), ist wahrlich ganz dicht dran am heutigen kindlichen Alltag. Zudem vertritt das 1912 uraufgeführte Kinderbuch eine überholte Pädagogik: Immer hübsch artig sein, Kinderchen, dann bleiben die Sternlein blank, und Ihr dürft zum Mond fliegen. Wobei 99,8 Prozent Gutartigkeit schon ziemlich knapp sind – wer den strengen Sandmann wirklich zufrieden stellen will, sollte optimale 100 Prozent bringen.

So ist es jedenfalls in der Fassung des Staatstheaters, die den Fokus ansonsten erfreulicherweise mehr auf das beherzte Engagement, den Mut und die Abenteuerlust der Kinder legt. Überhaupt kommt Jean Renshaws Inszenierung nicht als betulicher Kostümschinken, sondern frisch daher: Mit Dramaturgin Simone Kranz hat die britische Regisseurin die Vorlage von Gerdt von Bassewitz tüchtig gekürzt und bringt sie mit witzigen und poetischen Bildern sowie einer ordentlichen Prise Science Fiction, Fantasy und Comedy auf die Bühne (Ausstattung und Kostüme: Alfred Peter). Und weil das Ganze obendrein mit kessen Sprüchen aufgepeppt und mit Anspielungen gespickt ist, die nur die Erwachsenen verstehen, taugt die so modernisierte Mondfahrt als launige Unterhaltung für die ganze Familie.

Am Sonntag war Premiere im Großen Haus, wo das junge Publikum gleich Tapferkeit beweisen durfte: Die Szenenwechsel werden mit Blitz und Donner markiert. Dennoch blieben die Kleinen gelassen bei der Sache. Den eigenen Nachwuchs auf den Mond zu schießen – welche Eltern träumten nicht gelegentlich davon? Die Geschwister Anneliese und Peter (handfest, quirlig und in quietschbunter Freizeitkleidung statt im Pyjama: Helene Aderhold und Moritz Peschke) unternehmen die nächtliche Reise freiwillig, um dem armen verwitweten Maikäfer Herrn Sumsemann zu helfen. Dieser (in seiner Verlegenheit und seinem ständigen hyperventilatorischen Umfallen äußerst charmant porträtiert von Thorsten Köhler) hätte gerne sein sechstes Beinchen wieder, das sich infolge eines Unglücks, das seinen Urgroßvater ereilte, auf dem Mondberg befindet. Seither wird die Fünfbeinigkeit (genetisch äußerst dubios) in Sumsemanns Familie dominant vererbt, nur in Begleitung zweier Kinder reinen Herzens kann der Geige spielende Maikäfer das Bein zurückerobern. Gefährlich an der Sache ist  der hünenhafte Mondmann – Gregor Trakis gibt den verbannten Dieb als eigentlich bedauernswerten Eremiten, der im Exil aus reiner Vereinsamung zum verbitterten Menschenfresser mutierte. Nur mit Hilfe der Nachtfee kann das Unternehmen gelingen: Mit ihrer majestätischen Haltung, den roten Haaren und dem kalkweißen Gesicht erinnert Anne Rieckhof an Maria Stuarts Gegnerin Elisabeth I.

Unterstützung leisten auch der verzappelte Regenfritze (Moritz Peschke) sowie das burleske Paar Donnermann & Blitzhexe (Gregor Trakis, Mirjam Kuchinke). Der Donner begegnet uns als Rock‘n‘Roller mit gewaltiger Elvis-Tolle – dass er seiner Gattin ständig mit dem Donnerstab auf den Hintern haut und die ihm deswegen keine zurückdonnert, ist emanzipatorisch freilich reichlich fragwürdig. Das Gleichgewicht zwischen Mann und Frau wird dadurch wieder gerade gerückt, dass der uniformierte Sandmann (Steffen Weixler), der die Sternen-Putzkolonne (Statisterie) befehligt, ohne seine allwissende Adlatin Marsina (Mirjam Kuchinke) in jeder Hinsicht aufgeschmissen ist. Das Dauer-Geplänkel zwischen Sandmann und Marsina amüsiert als paro­distische Hommage an den Klassiker „Raumpatrouille“: Da wird mit Duschköpfen telefoniert, im Befehlston herumgebrüllt, werden Sternen-Berichte eingeholt.

Die Musik (Walfried Böcker) lehnt sich mal leitmotivisch an älteres französisches Pop-Chanson an, mal verbreitet sie Blockbuster-Suspense oder unterlegt mit solistischem Violinen-Schmelz die Flugszenen: Die rollen stets in bildgewaltiger Zeitlupe ab; zauberhaftes Augenfutter ist vor allem die Schlittenfahrt mit den Nachtfaltern. Das gesamte Geschehen spielt auf einer zur schrägen Ebene gekippten und nackten Hebebühne, die erst durch wechselnde, skurrile Objekte und Lichtprojektion (André Fischer) illustriert wird. Da wird das Kleid der Nachtfee von der Windmaschine zum Firmament gebläht, flimmern Sterne, ragt als andeutende Behauptung das Rohr der Kanone, die Sumsemann und die Kinder zum Mond schießt. So macht die olle Mondfahrt Spaß.

Nächste Vorstellungen am 14., 18., 22. und 25.November.

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