50 Jahre 68er-Revolte: Eine neue Sicht auf die Rolle der Frauen Nicht Rudi, sondern Gretchen

Saarbrücken · Die Historikerin Christina von Hodenberg schreibt eine weibliche Geschichte der 68er-Revolte.

Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit und die Vorzeige-Kommunarden und Spaß-Guerilleros Rainer Langhans und Fritz Teufel: Zu den Ikonen der 68er gehörte keine Frau – außer Uschi Obermaier. Die aber wurde bezeichnenderweise in der Presse nur als Sex-Symbol geführt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. „Im Erinnerungstrubel des 50. Jahrestages von Achtundsechzig“, schreibt die in London „Europäische Geschichte“ lehrende Historikerin Christina von Hodenberg in ihrem erhellenden Buch „Das andere Achtundsechzig“, werden viele seit Jahrzehnten über die 68er im Umlauf befindliche Mythen medial gewohnheitsmäßig recycelt. Wahrer werden sie dadurch nicht.

Seit Jahrzehnten kennzeichnet die meisten 68er-Debatten „ein Tunnelblick“, der Dutschke, die Berliner Kommune 1 und den sozialistischen Studentenbund SDS alleine in den Fokus gerückt habe. Dass die maßgebliche Triebkraft der damaligen Studentenproteste der Generationenkonflikt zwischen den antifaschistischen Söhnen und deren ins NS-System verstrickten Vätern gewesen sei, gehört für von Hodenberg dabei zu den zentralen, bis auf den heutigen Tag stets aufs Neue wiedergekäuten Mythen.

Sie selbst lenkt den Blick auf „das weibliche Achtundsechzig“: Während die ganz überwiegend von Männern definierte politische Revolte der 68er langfristig versandet sei, hätten die Frauen tatsächlich Geschlechterrollen revolutioniert und „die Lebensentwürfe von Frauen in allen Schichten der Gesellschaft verändert“. Dass der in den 70ern hochkochende Feminismus in Deutschland durch die 68er-Revolte geebnet worden ist, dieser Befund ist nicht wirklich neu. Wie von Hodenberg aber den weiblichen Part innerhalb der 68er-Protestbewegung en détail herausarbeitet, das verdient eingehende Betrachtung.

Von Hodenberg hat dazu zwei Langzeitstudien des Psychologischen Instituts der Uni Bonn neu ausgewertet: 600 Tonbandschachteln mit 222 Interviews, die zwischen 1967 und 1969 mit älteren Leuten aus dem Köln-Bonner Raum geführt wurden, sowie weitere knapp 200 damalige Befragungen von Bonner Studenten sowie Mittel- und Unterschichtlern der Jahrgänge 1909 bis 1934. Unterm Strich konnte sie damit die Selbstaussagen dreier Generationen miteinander vergleichen: die der Großeltern-, der Eltern- und der Enkelgeneration (sprich der damals 20- bis 25. Jährigen). Wichtigster Befund: Anders als hartnäckige Klischees dies kolportieren, verliefen die Trennlinien zwischen den Generationen längst nicht so eindeutig wie gerne behauptet: Hier die bornierten, stockkonservativen Alten, dort die rebellischen, umstürzlerischen Jungen. So war es nicht.

Von Hodenberg zeichnet nach, dass der vermeintliche „genealogische Bruch“ so kategorisch lediglich zwischen der Großeltern- und der Enkel-Generation bestand. Gleichzeitig bestand häufig eine Art reformerischer Allianz der Jugend und mittleren Generation gegen die Alten. Nicht nur, dass die Elterngeneration in Teilen Seite an Seite mit den Studenten gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gingen – die Achtundsechziger seien ihren Eltern meist auch „emotional verbunden“ gewesen. Und dies längst nicht nur aus materieller Abhängigkeit. Generationenübergreifend sei innerfamiliär die NS-Zeit meist „beschwiegen“ worden. Zahlreiche sozialwissenschaftliche Belege bezeugen demnach „das überwiegend einträchtige Zusammenleben von jungen Erwachsenen und ihren Eltern in den sechziger und siebziger Jahren“.

Erst in den 70er und 80er Jahren hätten die Achtundsechziger im Zuge der eigenen Legendenbildung den Generationenkonflikt mit den Eltern zum Schlüsselmoment im Kampf gegen „die braunen Väter“ hochstilisiert. Ein auch von Mitläufern der Studentenbewegung allzu gerne übernommenes Narrativ, durch das man sich in von Hodenbergs Lesart im Nachhinein in toto zu einer „politischen Generation“ erklären konnte. Tatsächlich hätten die Jungen zwar mehr Demokratie und das Aufbrechen autoritärer Strukturen gefordert, seien aber nicht primär „durch die NS-Vergangenheit oder gar durch den Wunsch nach Entlarvung der Täter motiviert“ gewesen.

Herzstück ihres Buches ist die Aufarbeitung des oft unterschlagenen Parts der Frauen innerhalb der 68er-Bewegung. „Vielleicht“, schreibt von Hodenberg, „müssen wir den Charakter von 1968 als historisches Ereignis anders begreifen, wenn wir das Private gleichgewichtig neben das Öffentliche stellen“. Der lange Marsch habe weniger in den Institutionen stattgefunden „denn in den Einbauküchen der Republik“ und den selbstverwalteten Kitas. Mit anderen Worten: Der Kampf von Gretchen Dutschke (die von Hodenberg zufolge auch die Idee hatte, bei uns Kommunen nach US-Vorbild zu bilden) für Gleichberechtigung war demnach langfristig wirkungsvoller als Rudis Kampf für eine antiautoritäre, sozialistische Gesellschaft. Kurzum: Der Kapitalismus blieb, die Frauenemanzipation aber kam. Wenn auch zeitversetzt – zunächst wurden selbst die meisten SDS-Frauen von ihren männlichen Genossen nur als „namenloses ,Zubehör’ wahrgenommen“, so von Hodenberg.

Dass der weibliche Anteil an der westdeutschen 68er-Bewegung in der Außenwahrnehmung so schwach blieb, sei auch selbst verschuldet gewesen, schreibt sie: Ihre Rolle als Vorhut eines historischen Wertewandels hätten viele Aktivistinnen selbst bagatellisiert. Umso mehr aber sollte man heute im Licht der vorhandenen Quellen, so mahnt die Historikerin, die damalige Revolte „vor allem als einen Geschlechterkonflikt und nicht als einen Generationenkonflikt verstehen“.

Christina von Hodenberg: Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte. C.H.Beck, 250 Seiten, 24,95 €

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