Streitbares in der neuen Dopppelnummer der „Saarbrücker Hefte“ Neue Munition im „Hefte“-Köcher

Saarbrücken · Die neue Ausgabe der „Saarbrücker Hefte“ widmet sich aufs Neue der „Röder-Debatte“ und versucht sich an einer Marx-Würdigung.

Dass der mittlerweile in Montreal lebende Saarbrücker Journalist Julian Bernstein unlängst in Nürnberg für seine Recherchen in der Causa Franz-Josef Röder den Alternativen Medienpreis (verliehen von der „Nürnberger Medienakademie“ und der „Stiftung Journalistenakademie“) in der Sparte „Geschichte“ erhalten hat, macht jenen publizistischen Streit noch eine Spur pikanter, der seit Jahren mal mehr, mal weniger hinter den Kulissen im Saarland schwelt. Er handelt von divergierenden Positionen, die Nazi-Vergangenheit des langjährigen CDU-Ministerpräsidenten Röder (1959-1979) betreffend. Nun machen die „Saarbrücker Hefte“, deren Redaktion Bernstein angehört, aus der „Röder-Debatte“ das Schwerpunktthema ihrer neuen Doppelausgabe.

Wäre Bernstein selbst Historiker, man könnte versucht sein, von einem „Saarbrücker Historikerstreit“ zu sprechen. Im Kern handelt dieser von der Frage, inwieweit Röders Rolle während der NS-Zeit womöglich in Abrede gestellt oder verharmlost beziehungsweise umgekehrt auf Seiten seiner Ankläger (neben Bernstein der Saarbrücker Historiker und Journalist Erich Später) aufgebauscht wird. „Historiker als Mythenproduzenten“ war der preisgekrönte Text überschrieben, in dem Bernstein dem Landesarchivar Peter Wettmann-Jungblut sowie dem Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs und Röder-Biografen Hans-Christian Herrmann vorwarf, Röders NS-Verstrickungen zu bagatellisieren. Die Methoden, so Bernsteins weitreichender Vorwurf, reichten dabei „vom selektiven Zitieren, dem simplen Unterschlagen belastender Dokumente bis zu dreisten Manipulationen“.

Diese Angriffe blieben nicht folgenlos. In den „Saargeschichten“, herausgegeben vom Landesverband der historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes sowie dem Historischen Verein für die Saargegend, bezichtigte Wettmann-Jungblut vor Jahresfrist Bernstein der „Lüge“ und stellte die wissenschaftliche Seriosität von dessen Recherchen in Abrede. Mit einem Wort: Die Fronten sind ebenso verhärtet wie aufgeladen. Selbst die kaum öffentlich in Erscheinung tretende „Kommission für Saarländische Landesgeschichte“, der regionale Professoren, Archivare und Behördenvertreter angehören, sah sich in dem Grundsatzstreit mittlerweile zu einer Stellungnahme genötigt. Sie warb für einen „emotionslosen Diskurs und für quellenkritische Arbeiten, wie sie genuin zum Handwerk des Historikers gehören“ und monierte ähnlich wie Landesarchivar Wettmann-Jungblut, Später und Bernstein würden im Zuge ihrer Anwürfe „elementare Regeln wissenschaftlichen Arbeitens missachten“.

Nun also legen die „Hefte“ nochmal nach: Zum Einstieg drucken sie (die auf deren Internetseite seit längerem bereits nachzulesende) Replik Bernsteins auf Wettmann-Jungbluts Anwürfe in den „Saargeschichten“. Bernstein unterstellt seinem Widersacher „eine beinahe durchgängige Tendenz zur Manipulation“. Im Fortgang setzt sich Bernstein insbesondere mit einem Ende 1940 von Röder im Zeitungsorgan der deutschen Besatzungsmacht in den Niederlanden unter dem Titel „Hilferuf an das Reich“ erschienenen Text (sowie dessen Rezeption) auseinander. Darin habe Röder, damals Leiter des niederländischen Ablegers des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und Zellenleiter der ­NSDAP in Den Haag, den niederländischen Nationalhelden Philips van Marnix nationalsozialistisch umgedeutet und ihn so „zu einem wichtigen Propaganda-Topos der deutschen Besatzungsmacht“ werden lassen. Für Bernstein kollidiert dies mit der gängigen Annahme, Röders habe seinerzeit bereits eine distanzierte Haltung gegenüber dem NS-Regime eingenommen.

Mindestens ebenso pikant ist der Abdruck eines von November 2017 datierenden Briefes der Staatskanzlei an SR-Intendant Thomas Kleist, indem der Abteilungsleiter für Grundsatzfragen der Landesregierung, Jochen Wagner, anregt, dass in der Berichterstattung des Senders „ein kritischer Blick auf den wissenschaftlichen bzw. auch ideologischen Hintergrund der Akteure“ durchaus „bereichernd“ sein könne. Hintergrund: In einem Hörfunkbeitrag hatte der SR-Journalist Uwe Loebens das Verhalten der Archivare Wettmann-Jungblut und Herrmann als „unredlich“ kritisiert und deren Eignung infragegestellt. Den Brief aus der Staatskanzlei deuten die „Hefte“ entsprechend als Versuch, die Berichterstattung des Senders zu beeinflussen.

Den Röder-Schwerpunkt komplettieren drei weitere Texte – darunter ein an die Redaktion der „Saargeschichten“ und den Vorstand des „Historischen Vereins für die Saargegend“ adressierter Offener Brief des Saarbrücker Ex-Bürgermeisters Kajo Breuer. Darin bricht Breuer eine Lanze für Später und Bernstein, „die alle wichtigen Dokumente zu einer kritischen Betrachtung Röders erschlossen und öffentlich gemacht“ hätten und moniert, dass „auf Bundesebene Ministerien und Unternehmen ihre Vergangenheit während der NS-Zeit einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen haben und im Saarland ein staatlich bestallter Historiker dies bezogen auf die Saaregion für unnötig erklärt“ – Breuer meint damit Wettmann-Jungbluth. Die von viel wechselseitiger Polemik befeuerte „Röder-Debatte“ wird sich, wie die neue Hefte-Ausgabe einmal mehr zeigt, so schnell nicht erledigen, vertrüge aber mehr Mäßigung.

Wie verdienstvoll die saarländische Kulturzeitschrift ist, unterstreichen in Nummer 117/118 zwei Texte. Zum einen Bernhard Dahms Analyse der Folgen der vom Bundesinnenministerium verfügten „Flüchtlingsobergrenzen“, die aufzeigt, wie unterschiedlich die (Ober)-Verwaltungsgerichte diese das Asylrecht in Teilen aushebelnde Politik auslegen. Zum anderen Harald Glasers Abrechnung mit der seit Jahr und Tag auf der Stelle tretenden Industriekultur-Politik der Saar – von der nie realisierten „Route der Industriekultur“ bis hin zu den Vertröstungen im Hinblick auf eine Entwicklung der auserkorenen vier Industriekultur-„Premium-Standorte“. Ein eher dürftiger Schwerpunkt zum Marx-Jubiläum und ein Gespräch mit Sikander Singh, Leiter des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass,  über sein Schreibseminar an der Uni runden die 120-seitige Doppelausgabe ab.

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