Buchhandel Mit 78 hat man noch Pläne

Saarbrücken/Ottweiler · Der Saarbrücker Buchhändler Karlheinz Köhler eröffnet mit 78 Jahren bald eine neue Buchhandlung — in Ottweiler. Ende Januar will er loslegen — eine wunderbare Familiengeschichte.

 In der „Eng Gaß“ in Ottweiler, unweit des Rathausplatzes, wird Karlheinz Köhler Ende Januar die 1892 von seiner Urgroßmutter eröffnete „Henn‘sche Buchhandlung“ (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1962) neu gründen.

In der „Eng Gaß“ in Ottweiler, unweit des Rathausplatzes, wird Karlheinz Köhler Ende Januar die 1892 von seiner Urgroßmutter eröffnete „Henn‘sche Buchhandlung“ (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1962) neu gründen.

Foto: Karlheinz Köhler/Paul Strauss

Was veranlasst einen 78-jährigen Buchhändler, der in Saarbrücken eine gut gehende Buchhandlung betreibt, dazu, in Ottweiler in einigen Wochen eine neue aufzumachen? Erstens ist die Frage ganz falsch gestellt, weil das Eröffnen einer Buchhandlung ja keine Bürde (und hoffentlich auch keine Mühsal) ist. Sondern wie immer in solchen Fällen eine Herzensangelegenheit. Zweitens käme niemand auf die Idee, dass Karlheinz Köhler 78 ist. Und drittens steckt dahinter auch, wenn auch nicht alleine, „ein bisschen eine Verpflichtung meiner Mutter gegenüber“, wie Köhler sagt.

Um Letzteres zu erklären, sind wir auch schon mitten drin in dieser Geschichte, die eine Familien- und eine Buchhändlergeschichte par excellence ist. Also eigentlich beides in einem. Der Reihe nach: 1892 eröffnete Köhlers Ur-Großmutter in Ottweiler die „Henn’sche Buchhandlung“ – aus der Not heraus. Nachdem ihr Mann, Gerber von Beruf, gestorben war, schwammen ihr buchstäblich die Felle davon. Weshalb sie sich in den Ottweiler Räumlichkeiten der Gerberei als Seiteneinsteigerin im Buchgeschäft versuchte. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kam – ihre Tochter hatte inzwischen einen Buchbindermeister aus Bonn geehelicht – eine Buchbinderei hinzu. Beides übernahm Köhlers Mutter Anneliese Hommel dann 1926 von ihrer Mutter und führte es mit ihrem Mann, dem Buchbinder Karl Köhler aus Mannheim, fort. Als Kind schneite er, erzählt Karlheinz Köhler, immer wieder durch Buchhandlung und Binderei und schaute den Eltern über die Schulter. Und sicher auch in viele, viele Bücher hinein.

Kein Wunder jedenfalls, dass er der Familientradition treu blieb, wenn auch nicht in Ottweiler, das damals nicht zuletzt wegen seines „Lehrerseminars“  ein Begriff war. Vielmehr übernahm Köhler nach seinem Examen als Diplom-Kaufmann 1965 zunächst eine Buchhandlung in Sulzbach, später dann in Dudweiler, ehe er 1971 die legendäre „Akademische Buchhandlung“ in Saarbrücken aufmachte, nach ihren Initialen auch kurz „abs“ genannt. Ehe Thalia mit seinem Buchkaufhaus kam, war Köhlers „abs“ nicht nur die größte Saarbrücker Buchhandlung, sondern vor allem eine, die ihrem Namen „Akademische Buchhandlung“ gerecht wurde. 1999 musste Köhler dann Insolvenz anmelden. Die Thalia-Konkurrenz, die jahrelange Saarbahnbaustelle und der damit verbundene Ruin der Kaiser- als Geschäftsstraße brachen ihm das Genick. Dass später dort, wo früher „abs“ residierte, ein Army-Shop einzog, spricht Bände. Köhler aber gab damals nicht auf. Bereits 1997, noch zu Zeiten seiner „abs“, hatte er als deren Dependance „Bücher am Rotenbühl“ im gleichnamigen Saarbrücker Nobelviertel aus der Taufe gehoben.

 20 Jahre später sitzt er dort zwischen seinen Büchertischen im Sessel, kramt die alten Ottweiler Umbaupläne der elterlichen „Henn’schen Buchhandlung“  hervor und kommt auf seine eigenen, neuen zu sprechen: Ottweiler brauche wieder eine Buchhandlung, so wie früher. „Jetzt ist das ja nur noch eine Post­agentur mit Toto-Lotto-Annahmestelle und Zigarettenverkauf.“ Weil die zum Jahresende ihren Betrieb in anderen Räumlichkeiten fortsetzt, sieht Köhler den Zeitpunkt gekommen, auf seine nicht mehr ganz jungen Tage das elterliche Vermächtnis einzulösen. Wie ehedem soll es in der Ottweiler „Eng Gaß 2“ wieder eine „Henn’sche Buchhandlung“ geben – mit dem dezenten Zusatz „Köhler“ dahinter.

Dass er vor 20 Jahren seine kleine, feine Rotenbühler Buchhandlung aufmachte, sei damals „das Ergebnis der Spaziergänge meiner Frau mit unserem Hund gewesen“, erzählt Köhler und gluckst vor Lachen. Seine Frau ist die deutsch-tschechische Schriftstellerin und Publizistin Alena Wagnerová, die nicht nur mit einer Biografie über die einstige Kafka-Geliebte Milena Jesenská bekannt wurde, sondern zuletzt auch mit einem Interviewband unter dem Titel „Helden der Hoffnung – die anderen Deutschen aus den Sudeten. 1935–1989“, in dem sie 15 Sudetendeutsche zu Wort kommen ließ, die sich seinerzeit nicht mit dem NS-System gemein gemacht hatten. Dass Alena Wagnerová auch heute noch um die Buchhandlung ihres Mannes herum spazieren geht, verdankt sich dem Umstand, dass das Ehepaar in der Nähe wohnt. So wie Köhler damals wusste, „dass hier eine Buchhandlung fehlte“, weiß er heute, dass eine in Ottweiler fehlt.

Eine gestandene Buchhändlerin soll sie führen. Wobei er selbst an bestimmten Tagen mit vor Ort sein werde, erzählt er. Dass er am Rotenbühl mit einem anspruchsvollen Programm lange etabliert ist, soll den Ottweiler Sprung ins Ungewisse überschaubar machen. „Ich kann dort flexibel reagieren, weil ich hier ein volles Sortiment habe“, sagt er. Ferner habe man ihm in Ottweiler zugesichert, „dass die Schulbuchbestellungen wieder bei uns laufen“. Sprich: Auch die Stadt sieht sich in der Pflicht. In seinem Alter, meint Köhler, wolle er kein großes finanzielles Risiko mehr eingehen – dass die Ottweiler Immobilie in Familienbesitz ist, kommt da gerade recht.

 Karlheinz Köhler in seiner Saarbrücker Buchhandlung am Rotenbühl.

Karlheinz Köhler in seiner Saarbrücker Buchhandlung am Rotenbühl.

Foto: Christoph Schreiner/SZ/Christoph Schreiner

„Eine richtige Buchhandlung“, sagt er, soll es werden. Mit 70 bis 75 Quadratmeter Verkaufsfläche nebst Kaffeeausschank. Denkbar sei, dass bibliophile Kunden ehrenamtlich mithelfen und genossenschaftlich eingebunden werden. „Mehr Verantwortlichkeit ist, glaube ich, in der heutigen Zeit wichtig“, sagt er. Und überschlägt, entspannt im Sessel sitzend, dass er „noch gut zehn Jahre“ im Buchhandelsgeschäft zu bleiben gedenkt. In einem Bundesland mit gerade mal 34 „Einzelhandelsgeschäften mit Buchhandlung“ (zum Vergleich: Rheinland-Pfalz zählt 187), von denen wohl kaum mehr als 20 echte Buchhandlungen zu nennen sind und einige Städte (etwa Völklingen oder Sulzbach) mittlerweile gar keine mehr haben, ist das eine rühmliche Aussage. Dass ausgerechnet ein rühriger 78-Jähriger sie trifft, sagt einiges über den in der Fläche darbenden saarländischen Buchhandel.

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