Maghrebinische Häutungen

Saarbrücken · Von einem Banker auf der Flucht und zugleich auf dem Weg zu sich selbst erzählt Martin Mosebachs „Mogador“. Nächste Woche liest der Autor in Saarbrücken aus dem eleganten Werk.

Was die stilistische Eleganz seiner geschliffenen Prosa anbelangt, können es nur wenige zeitgenössische deutsche Autoren mit Martin Mosebach aufnehmen. Der in Frankfurt geborene und lebende, inzwischen 65-Jährige kultiviert nicht nur äußerlich die Attitüde eines Feingeistes mit Einstecktuch, sie kennzeichnet auch sein sprachlich wohltemperiertes Werk. Dass es dabei auch einen Schlag ins Ironische hat, sollte man indes nicht mit Hochmut verwechseln.

Schon die Eingangsszene seines neuen, fälschlicherweise als "Wirtschaftsthriller" gehandelten klassischen Entwicklungsromans "Mogador" führt auf einen ersten Gipfel seiner Erzählkunst: Mosebachs auf geradezu barocke Weise sinnenfreudige Schilderung des marokkanischen Hammams, in dem er seine Hauptfigur - den auf der Flucht befindlichen Düsseldorfer Privatbanker Dr. Patrick Elff - sich häuten und seine bisherige Existenz abstreifen lässt, ist ein Auftakt nach Maß.

Dazu liefert er die Deutungsfolie des Romans bereits in nuce mit: So wie sich Patricks ohnedies schillernde Identität in dem schwülen Dampfbad quasi verflüchtigt, werfen auch die übrigen Figuren beständig die Frage auf, wer hier was darstellt, vorgibt, will und ist. Irrlichternde oder Undurchsichtige sind sie. "Liegen Gutes und Böses nicht vor allem auf der Oberfläche eines Menschen und haben mit der Tiefsee darunter vielleicht gar nicht so viel zu tun?", fragt sich Mosebachs wankelmütiger Held bereits nach ein paar Seiten. Genüsslich lotet "Mogador" die Verführungskräfte und Fallstricke aus, die die Neuerfindung einer Person bietet (nicht zuletzt auch deren Schöpfer). Dass Mosebach im Fortgang die Medina von Mogador, das heute - ungleich weniger märchenhaft - Essaouira heißt, zum Schauplatz seines Romans macht, katalysiert naturgemäß nur sein literarisches Spiel aus Verstellungen und Verstrickungen.

Hätte sich nicht einer seiner in zwielichtige Finanzgeschäfte verwickelten Abteilungsleiter erhängt, wäre Dr. Elff (als Germanist selbst nur auf Umwegen ins Bankenwesen hineingeschlittert) vermutlich auf der Karriereleiter ohne viel Zutun weiter aufgestiegen. So aber türmt Elff, als ihm ein Kommissar in Düsseldorf auf den Zahn fühlt, kurzerhand und taucht in Marokko unter. Wieviel Schuld ihm anhaftet, bleibt lange undeutlich. Von einem bis in höchste marokkanische Königskreise vernetzten Geschäftsmann namens Pereira hatte er sich zu einem Geldwäschegeschäft verleiten lassen: eine Marionette im Spiel eines Strippenziehers. Elffs Hoffnung, im Gegenzug nun von Pereira Hilfe zu erfahren, geht ins Leere. Umso genüsslicher breitet Mosebach das Stranden seines Nadelstreifenanzug gegen Kapuzenpulli eintauschenden Jungbankers im Haus einer Puffmutter und Geldverleiherin aus. Khadija, die in ihrem Haus "die mangelnde Übereinstimmung der Ansprüche mit den zur Verfügung stehenden Mitteln" perfektioniert hat, wird zur zweiten Hauptfigur des Romans. Allein, "Mogador" verliert sich damit zusehends auch in launigen Schilderungen einer vormodernen, maghrebinischen Gassen- und Hinterzimmerwelt.

Wie berauscht von deren eigenen Gesetzmäßigkeiten (ihren Religionsbeamten gleichenden Bettlern etwa oder dem allzumenschlich wirkenden Korruptionswesen), lässt Mosebach Elff "die Stadt als Symphonie erleben". So ergeben, wie dieser das Urteil über seinen moralischen Düsseldorfer Bankrott erwartet (und das damit verbundene Aufgeben seiner Ehe mit einer erfolgsverwöhnten Argentinierin), so willfährig überlässt Mosebach seinen Vermögensverwalter a.D. den Reizen der Fremde.

Interessant daran ist die damit verbundene Blickverschiebung: Der Maghreb hat in diesem Roman nichts Defizitäres, sondern bewahrt in seiner Tradiertheit mehr Lebensgunst als noch so geübte Düsseldorfer Feierabend-Hedonisten sie uns vorgaukeln. Elff wird in Marokko von seiner Leere kuriert; ein Rollenspieler entdeckt wieder sein Menschsein. Seine Flucht gleicht mehr und mehr einer Pilgerfahrt. So entpuppt sich Mosebachs bisweilen langatmiger Roman zuletzt als Geschichte einer Läuterung und kokettiert dabei freimütig mit der Idealisierung einer hierzulande vielen fernen Lebensform. Er tut es im Zeichen wahrhaftiger kultureller Toleranz.

Martin Mosebach: Mogador. Rowohlt, 367 Seiten, 22,95 €.

Am Dienstag, 13. September

(ab 19 Uhr), liest Martin Mosebach auf Einladung der Buchhandlung Raueiser im Saarbrücker Domicil Leidinger (Mainzer Straße 10, Raum Centro) aus seinem Roman.

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