Rückblick auf das St. Ingberter Jazzfestival Lyrischer und barfüßiger Charme

St. Ingbert · Es muss nicht immer Jazz sein: Das 32. St. Ingberter Jazzfestival bot Solides und Hervorragendes.

 Leszek Mozdzer am Piano (von hinten), Martin Weinert (Kontrabass) und Gitarristin Susan Weinert.

Leszek Mozdzer am Piano (von hinten), Martin Weinert (Kontrabass) und Gitarristin Susan Weinert.

Foto: Kerstin Krämer

Ein Festival wird üblicherweise von einem künstlerischen Leiter konzipiert, der mit seinem Namen für das Programm steht. In St. Ingbert, wo nun in der Stadthalle das 32. Internationale Jazzfestival über die Bühne ging, ist das seit geraumer Zeit anders: Das von der Stadt veranstaltete Treffen wird von einem „Jazzarbeitskreis“ gestaltet, dessen Mitglieder nicht genannt werden. Trifft man jemanden aus jener offenbar bunt zusammengesetzten Runde, so wird man auf Nachfrage über deren „betont demokratische“ Vorgehensweise informiert. Dennoch gibt es einen Primus inter pares: Yvan Tan, Chef einer Künstleragentur, taucht im Programmheft unter dem Stichwort „künstlerische Beratung“ auf – und hält sich ansonsten äußerst bedeckt.

Auch wenn angesichts dieser Konstruktion nach wie vor Fragezeichen erlaubt sein müssen, scheint das St. Ingberter Modell (nach einigen Startschwierigkeiten der Anfangszeiten) heute nicht schlecht zu funktionieren: Die aktuellen Jazztage waren einmal mehr gut besucht, qualitativ gab‘s Solides bis Hervorragendes. Die Wahl der Bands freilich entsprach der Organisationsstruktur: IGB Jazz wendet sich an ein besonders breit gefächertes Mainstream-Publikum. Schräger experimenteller Jazz etwa ist da kaum zu erwarten, könnte er doch abschrecken. Statt dessen regiert kunterbunte Vielfalt, diesmal mit einem (starken!) polnischen Akzent und Abstechern mitten in den Pop. Lobenswert: St. Ingbert hegt ein Herz für den jungen einheimischen Jazz, so durfte Kevin Naßhans großregional besetztes Silent Explosion Orchestra den kompletten Donnerstagabend übernehmen.

Am Freitag lautete das (selbst?)ironische Motto dann „Jazz oder No Jazz?“. Nun, das eröffnende „Indra Rios-Moore Trio“ konnte noch als Jazz durchgehen. Hier waren Songs von Pink Floyd, Steely Dan, Curtis Mayfield, Duke Ellington bis hin zum Folk in gemessen groovenden und swingenden Versionen zu hören. Dem kammermusikalischen Sound verpasste Kontrabassist Thomas Sejthen die makellose rhythmische Basis, Saxofonist Benjamin Traerup empfahl sich mit samtweichem Ton als sensibler Dialogpartner der Sängerin, zugleich seine Ehepartnerin. Die aus New York stammende Indra Rios-Moore zeigte bei ihrer humorvollen Moderation mehr Temperament als bei den Songs. Von Soul und Gospel beeinflusst, pflegte sie einen Mittelweg zwischen textdienlichem Gesang und Koloraturen-reicher Gestaltung: Da war Rios-Moores warme, federleichte Stimme wie ein Instrument geführt. Das atmete Charme und Atmosphäre, erntete verdienten Applaus, war aber von A bis Z lyrisch – zum Finale hätten zupackendere Töne nicht geschadet.

Die kamen dann um so heftiger vom französischen Quintett „No Jazz“, das seinen Namen allzu wörtlich nahm. Von einem Abstecher in Weltmusik-nahe Regionen und einigen jazzig-virtuosen Soloeinlagen (Philippe Sellam, Saxofon; Guillaume Poncelet, Trompete) abgesehen, massierten hier phongewaltige Muster unsanft die Gehörgänge, die in die Disco gehörten: Funk und Soul martialischer Art plus ein paar Techno-Takte, dazu Gesang im hyperaktiven Schmacht-Modus. Einige Festivalbesucher suchten das Weite, viele nutzten das Parkett als Tanzboden.

Der Samstag stand dann ganz im Zeichen Polens. Das 2015 gegründete „Adam Jarzmik Quintet“ fand rasch zu organischem Spiel von feiner Klangkultur. Die Kompositionen aus der Feder des Bandleaders und Pianisten Adam Jarzmik begeisterten als lupenreiner, facettenreicher Modern Jazz mit griffigen Motiven und Linien, hier kongenial umgesetzt von der Bläser-Doppelspitze aus Jakub Lepa (Tenorsaxofon) und Pawel Palcowski (Trompete, Flügelhorn). Das Spektrum reichte von betörender Melancholie bis zu energetischer Offensive (Rhythmusgruppe: Maciej Kitajewski, Kontrabass; Piotr Budniak, Schlagzeug) und wurde mit hochverdienten Zugabeforderungen honoriert. Danach ein polnischer Superstar: Den Pianisten Leszek Mozder erkennt das saarländische Musikerpaar Susan und Martin Weinert, seit er für seine Abschlussprüfung nächtelang Chopin übte. Eine Investition, die sich ausgezahlt hat: Der barfuß spielende Mozder fasziniert mit einem glasklaren, gemeißelten Anschlag. Durch Perlenketten im Saitenkasten erzeugte er verblüffend cembaleske Effekte und bereicherte so den herausragenden Auftritt des Susan Weinert Global Players Trio: ein Konzert, das sich außer durch sensibles Miteinander und enorme Dynamik auch durch einen plastischen Sound im Breitwandformat auszeichnete – trotz rein akustischer Besetzung. Die Weinerts erteilten ihrem sonst gerne gepflegten klinischen Fusion-Jazz eine Absage und gingen als neugierige Klangforscher auf weltmusikalische Entdeckungsreise. Susan Weinert tauschte die E-Gitarre gegen eine Nylon-String, Martin Weinert entlockte seinem groovenden Kontrabass mit dem Bogen orientalische Harmonien. Feinfühlig unterstützt von Schlagzeuger Florian Schneider entstand ein fließender Stilmix von beträchtlicher Sogwirkung. Tobender Applaus.

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