Französischer Romancier Emmanuel Bove Literarischer Meister äußerster Verknappung

Saarbrücken · Emmanuel Bove war einer der interessantesten französischen Romanciers der 1920er und 30er Jahre. Nur wenige vermochten zwischen den Zeilen mehr zu sagen als Bove. Ein Teil seines Spätwerks ist nun neu erschienen.

 Emmanuel Bove (1898-1945), seine großen Romane „Meine Freunde“ und „Armand“ übertrug Peter Handke.

Emmanuel Bove (1898-1945), seine großen Romane „Meine Freunde“ und „Armand“ übertrug Peter Handke.

Als der kleine Roman „Schuld“ des französischen Autors Emmanuel Bove (1898-1945) 2010 in der schönen Übersetzung von Thomas Laux erstmals auf deutsch erschien, war er schnell vergriffen. Er handelte von zwei ungesühnten Morden, deren Täter sich zwischen einer zeitlich begrenzten Gefängnisstrafe und ewiger Verfolgung durch die Erinnyen für ihre lebenslängliche Schuldgefühle zu entscheiden hatten. Die Feuilletons feierten die Helden des im 1931 erschienenen Original „Un Raskolinkoff“ genannten Romans als zeittypische Verkörperung von Menschen zwischen Größenwahn und einem Gefühl von Nichtigkeit.

Sie rückten Boves Roman nicht nur in die Nähe von Dostojewskij sondern auch von Kafka und Camus. Letzteren lernte Bove 1942 in Algier kennen, wohin er aus Furcht vor rassistischer Verfolgung aus dem von Deutschen besetzten Frankreich geflohen war. Bove war 1898 unter dem Namen Bobovnikoff als Sohn eines jüdischen Einwanderers aus Kiew und einer deutschsprachigen Luxemburgerin in Paris geboren worden. Zeitlebens kämpfte er mit prekären wirtschaftlichen Verhältnissen und schrieb immer wie gehetzt um seinen Lebensunterhalt. Der Düsseldorfer Lilienfeld Verlag hat jetzt eine um neun kurze Erzählungen erweiterte, schön gestaltete Neuausgabe seines „Schuld“-Romans vorgelegt, die den nicht wenigen, hiesigen Anhängern Boves und auch allen Neugierigen ans Herz gelegt sei.

Fünf der neu aufgenommeen und erstmals auf deutsch erscheinenden Erzählungen hatte Bove vor dem Krieg in der Tageszeitung „Paris-soir“ veröffentlicht, die anderen vier 1944 in der de Gaulle nahestehenden, in Algier erscheinenden Zeitung „La Marseillaise“. Sie haben einen zunächst leichten, die späteren einen resolut-patriotischen Grundton. Boves vor 1939 entstandene Kurzgeschichten wenden sich gegen eine Vernachlässigung der Verteidigungsbereitschaft, bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Die vier letzten, erst kürzlich aus dem Nachlass publizierten, thematisieren das 1944 noch hochaktuelle Verhalten einzelner Franzosen gegenüber den deutschen Besatzern oder deren vermeintlich „patriotische Pflichten“. In „Eine offene Rechnung“, einem der in Algier entstandenen kurzen Texte, prangert Bove einen im Krieg nicht Eingezogenen an, der der Ehefrau eines vermissten Soldaten den Hof macht, sie bedrängt. Man kennt das aus allen Kriegen und auf allen Seiten. Der Ehemann kehrt zuletzt glücklich aus der Gefangenschaft zu seiner standhaften Frau zurück: „,Ich vertraue dir’, sagte er mit einem Lächeln. ,Lass ihn machen. Wenn der Krieg vorbei ist, finde ich ihn in Paris, und wir werden die kleine offene Rechnung gemeinsam regeln, denn es wird auch offene Rechnungen dieser Art geben, die geregelt werden müssen.’“

Eine Passage, die unseren Blick auf eine offene Wunde Frankreichs lenkt, die zwischen Résistance und oft nur stiller Kollaboration klafft. Und doch: Der zeitgeschichtliche Hintergrund verdeckt die literarische Qualität dieser Miniaturen keineswegs. In der für Bove typischen äußersten Verknappung und sprachlichen Genauigkeit formen sich dramaturgisch fesselnde Zeitbilder. Ihre Personen gewinnen in kurzen Strichen scharfe Kontur, der moralische Appell dürfte damals nicht ungehört verhallt sein. Heute schärft er das Gehör für das Unerhörte.

Emmanuel Bove: Schuld und Gewissensbiss. Ein Roman und neun Erzählungen. A. d. Frz. und mit einem Nachwort von Thomas Laux. Lilienfeld, 176 S, 20 €.

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