Oper Liebe über den Dächern von Paris

Saarbrücken · Die Premiere von Puccinis Oper „La Bohème“ geriet am Wochenende im Saarländischen Staatstheater zu einem farbenfrohen Spektakel.

 Die totkranke Mimi (Pauliina Linnosaari) ist noch einmal zu Rodolfo (Angelos Samartzis, r) und den Freunden Schaunard (Salomón Zulic del Canto, l.) und Colline (Markus Jaursch) zurückgekehrt.

Die totkranke Mimi (Pauliina Linnosaari) ist noch einmal zu Rodolfo (Angelos Samartzis, r) und den Freunden Schaunard (Salomón Zulic del Canto, l.) und Colline (Markus Jaursch) zurückgekehrt.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Das Erste, was schon während der Ouvertüre von „La Bohème“ ins Auge sticht, ist der Fanclub mit roten „Rodolfo“-Herzen, der auf der Bühne die Kammer des Künstlers belagert. Und eine Mimi, die es kaum erwarten kann, gleich den angebeteten Dichter zu treffen. Mit dieser Eingangsszene macht Regisseur Tobias Heyder klar, dass er die Puccini-Oper, die am Samstagabend im Staatstheater Premiere hatte, nicht als süßlich-romantische Schnulze angelegt hat, sondern als ein buntes, schrilles, teilweise kitschiges Zerrbild des reichhaltigen Pariser Lebens zum Ende des 19. Jahrhunderts. Hier die karge Kammer der Bohemiens im Quartier Latin, dort die vor Leben strotzenden Straßen und Cafés der umliegenden Straßen.

Diese Bohème hat von allem etwas: Ein bisschen modern, ein bisschen traditionell, versucht sie eine Melange aus vielen Stilen. Das zeigt sich schon an der Bühne (Frank Philipp Schlössmann), deren getäfelte Wände und ausladende Decke einerseits den Zauber eines vergangenen Jahrhunderts wachrufen, die andererseits aber mit greller Weihnachtsbaum-Deko, Geschenken in silber schillernder Folie und Disco-Atmosphäre aufwartet. Und dazu auch in den Kostümen (Janine Werthmann), die eine Mischung zwischen 50er-Jahre-Eleganz in grellen Farben und Leisure-Look in gedeckten Farben kombinieren.

Wie gut das funktionieren kann, zeigt sich nicht nur in der ersten Szene, in der die kargen Einrichtungsgegenstände – Stuhl, Sessel, Ofen – ausreichen, um die ansonsten weitläufige Bühne virtuell in eine enge Kammer zu verwandeln. Auch im zweiten Akt, der im Vorweihnachts­­trubel des Quartier Latin beginnt, um dann im angesagten Edel-Café Momus zu enden, gelingt Heyder der Spagat zwischen den Stilen. Die marktschreierischen Glitzerstände der Straßen mit einem Spielzeughändler Parpignol, der als Weihnachtsmann Geschenke verteilt, säumen den Weg zum edlen Pariser Café, auf dem in grelle Farben gekleidete Models den Tresen in einen Laufsteg verwandeln.

Während in der ersten Hälfte der Überschwang dominiert – Rodolfo und Mimi verlieben sich und feiern gemeinsam mit den Freunden Colline, Schaunard, Marcello und dessen flatterhafter Freundin Musetta in rauschender Umgebung den Vorweihnachtsabend – deutet sich im dritten Akt, und damit Monate später, das dramatische Ende an. Ein Bruch, dem Heyder mit seiner Inszenierung nur noch bedingt folgen kann. Statt mit der Szene in die Pariser Vorstadt zu wechseln, belässt Heyder die Handlung in der Bar und setzt auf Symbolik: Der gefallene Weihnachtsbaum, die müden Zecher, die als Häschen gekleideten Teilnehmerinnen eines Junggesellenabschieds – sie stehen für die nach zwei Monaten zerbrechliche Beziehung zwischen Mimi und Rodolfo. Der will sich trennen, angeblich aus Eifersucht, in Wirklichkeit aber, weil er in der kalten Künstlerwohnung um Mimis Leben fürchtet.

 Doch Heyders Bild passt nicht zum Text: Statt fröstelnd in der Kälte zu stehen, räkelt Mimi sich an der Bar. Auch ihr mondänes Cocktail-Kleid vermittelt nichts von der notleidenden Näherin. Wenn Armut so aussieht, möchte man auch mal arm sein. Auch im vierten Akt – zurück in der Künstler-Mansarde – gerät die Inszenierung nicht perfekt. Zumindest bleibt unbeantwortet, welche Aussage der Tresen inklusive schlafenden Gästen im Studenten-Domizil vermitteln soll. Möglicherweise mag er als Stilmittel gedacht sein, um der folgenden Sterbeszene ein Stück weit die Intimität und damit die ihr innewohnende Dramatik zu nehmen.

Zwar wirkt dieser Bruch in der Inszenierung zumindest verstörend, die Freude an der ansonsten gelungenen Produktion kann er aber nicht nehmen. So vielseitig, so farbenfoh, so lebendig, wie sie verlaufen, werden die gut zwei Stunden keine Minute langweilig. Das ist vor allem der Spielfreude der Sänger zu verdanken. Sei es in den komischen Szenen, wenn etwa der Vermieter Benoit von den vier Künstler-Freunden um seine Miete geprellt wird. Sei es in der Liebesszene von Mimi und Rodolfo, die nicht, wie häufig in anderen Inszenierungen, zum statischen Liebesduett gerät, sondern zu einem Reigen aus Neckereien, Vorstößen und Verführung. So geht Flirten, nicht nur auf der Bühne. Und wenn Musetta im Café Momus auf den Tresen steigt und die anderen Damen auf ihre Plätze verweist, weiß jeder: Hier kommt die Königin der Pariser Nachtwelt.

Auch musikalisch ist diese Bohème ein Leckerbissen. Rodolfo (großartig: Angelos Samartzis) gelingt es bereits zu Beginn, sich mit der Bravour-Arie „Che gelida manina“ sowohl in Mimis Herz als auch in das des Publikums zu singen. Und Pauliina Linnosaari, die sich nach einem verhaltenen Start ständig steigert, läuft stimmlich ab dem dritten Akt bis zum dramatischen Ende („Sono andati?“) zu Hochform auf. Musetta (Valda Wilson) überzeugt ebenso als verführerische Lebedame wie auch als Freundin, die die Jungfrau Maria anfleht, Mimis Leben zu verschonen („Madonna benedetta“). Und Peter Schöne singt die Rolle des Marcello mit einem so warmen und weichen Bariton, dass es schade ist, dass die Partie nicht mehr Raum in der Oper hat. Desgleichen sind auch Markus Jaursch und Salomon Zulic del Canto in den Rollen des Colline und Schaunard stimmlich gut besetzt, wobei Zulic del Canto noch Potenzial hat.

Und das Orchester? Es führt unter Nicolas Miltons‘ souveränem Dirigat beherzt und überzeugend durch Puccinis Oper. Makellos agiert dazu auch der von Jaume Miranda einstudierte Chor. Unterm Strich gelingt musikalisch eine glanzvolle Saarbrücker „La Bohème“.

 Musetta (Valda Wilson) umgarnt im Café Momus mit einem verführerischen Auftritt ihren Ex-Liebhaber Marcello (Peter Schöne)

Musetta (Valda Wilson) umgarnt im Café Momus mit einem verführerischen Auftritt ihren Ex-Liebhaber Marcello (Peter Schöne)

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Nächste Vorstellungen am 29. Oktober, 3., 8. und 12. November.

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