Jens Eisel und sein Roman „Bevor es hell wird“ Kleines Glück, großes Unglück

Saarbrücken · Jens Eisel, in Wiebelskirchen aufgewachsen und heute in Hamburg lebend, legt ein ziemlich gelungenes Romandebüt vor.

Das erste Bild: ein alter Ford Mustang vor der geweißten Wand einer Autowerkstatt. Die Windschutzscheibe liegt demontiert auf dem Dach, Rost punktiert die Karosserie. Darunter steht: "Aus dem neuen Roman . . ." Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass Jens Eisel dieses Foto bei Instagram hochlud. Instagram – das ist ein Programm für das Smartphone, eine App. Der Schlüssel zu einem sozialen Netzwerk, in dem Millionen Menschen einander Bilder zeigen.

Als Eisel sein erstes Foto aussandte, aus einer Schrauberbude in Hamburg-Ottensen, arbeitete der Schriftsteller an seinem Romandebüt. "Zu dem Zeitpunkt war ich schon relativ weit", erinnert sich Eisel. Ein Jahr und rund 500 Instagram-Bilder später liegt das fertige Buch in den Läden. "Bevor es hell wird" - so heißt die Erzählung, die Eisel nächste Woche bei zwei Lesungen in Sulzbach und Neunkirchen vorstellen wird. Sozusagen daheim.

Eisel, geboren 1980 in Neunkirchen, aufgewachsen im Stadtteil Wiebelskirchen, hat spät zum Beruf des Schriftstellers gefunden. Zu seiner Legende gehört ein Vorleben als Schlosser und Lagerist. Mit 29 Jahren fand er Aufnahme am Literaturinstitut in Leipzig. Aus dem Studium ging "Hafenlichter" hervor, ein Band mit Hamburger "Stories", freundlich aufgenommen von der Kritik. Nun folgt das zweite Buch.

 Von Neunkirchen nach Hamburg, vom Lagerarbeiter zum Autor:Jens Eisel Foto: Melina Mörsdorf

Von Neunkirchen nach Hamburg, vom Lagerarbeiter zum Autor:Jens Eisel Foto: Melina Mörsdorf

Foto: Melina Mörsdorf

"Bevor es hell wird" handelt von Alex, einem gelernten Mechaniker, der zwei Jahre im Gefängnis saß. Warum? Das lässt sich erst am Ende des Romans erahnen. Dazwischen erzählt Eisel die Geschichte der Brüder Alex und Dennis, die mit ihrer Mutter nach Hamburg ziehen, sich zum ersten Mal irgendwo heimisch fühlen, Freunde finden. Sie erfahren das, was Jean Paul einst als "Vollglück in der Beschränkung" beschrieb: eine kleinbürgerliche Idylle. Ohne Bestand.

Stilistisch zeigt Eisel sich ebenso diszipliniert wie bei seinem Erstling. Er verzichtet auf Metaphern und schillernde Adjektive, setzt stattdessen auf kräftige Verben. So erwächst aus einer einfach gehaltenen Sprache eine Welt einfacher Leute, in der vieles "alt" ist, manches "neu", anderes schlicht "groß" oder "klein". Und doch erscheint dieses Erzählen alles andere als schematisch, wenn sich kleines Glück in größtmögliches Unglück verkehrt. In "Bevor es hell wird" lässt der 36-jährige Eisel das Leben seiner Hauptfiguren aus den Fugen geraten, er führt sie an die Grenzen menschlicher Existenz. Der Tod entwickelt sich zum bestimmenden Motiv des Romans. Gefühle wie Trauer oder Schuld werden körperlich empfunden, weil sie mit Worten kaum einzuholen sind.

Was dieses Buch mit Instagram zu tun hat? Jens Eisel meldete sich in dem sozialen Netzwerk an, um ein "Foto-Tagebuch" zu führen. "Ich habe schon immer fotografiert, mit den Bildern aber nie etwas gemacht", sagt er. Nun begann er also, seinen Alltag als freier Schriftsteller zu dokumentieren. Mit Fotos, nicht Texten. "Mir geht es darum, die Arbeit eines Autors zu bebildern. Mich hat das immer interessiert: Wie entsteht ein Buch?", erklärt Eisel. Diese Frage beantwortete er mit regelmäßigen Einblicken in seine literarische Werkstatt.

Doch Eisel verfolgte natürlich auch noch ein anderes Ziel: "Ich wollte mein Buch ankündigen, indem ich Bilder poste, die aus dem Kosmos des Romans stammen." Und so begegnen einem bei Instagram etliche Fotos, die auf Motive in "Bevor es hell wird" hindeuten: allen voran die Autowerkstatt, ein zentraler Ort der Handlung.

Selbstredend vermischt sich in dieser Bilderflut die Idee einer literarischen Schnitzeljagd mit der Abbildung dessen, was Eisel im Alltag ins Auge fällt, was ihn beständig fasziniert oder inspiriert. Zugleich warnt der Schriftsteller davor, zu viel Literatur in diesen Nebenarbeiten zu erkennen: "Der Roman ist zwar ein realistischer, aber letztlich eine Kunstwelt." Dass er so konsequent fotografisch Tagebuch führt, wirft trotzdem ein Licht auf sein Schreiben. "Ich arbeite sehr visuell", sagt Eisel: beobachtend wie im Film, minutiös beschreibend.

Seit "Hafenlichter" besitzt Eisel ein Smartphone, ein wundersames Gerät, das in seinem neuen Roman niemals Platz fände. "Bevor es hell wird" spielt hauptsächlich auf zwei Zeitebenen, in den neunziger Jahren und 2006. Beiläufig erfasst Eisel die Ausläufer einer analogen Welt. Die Gegenwart des Schriftstellers ist digital. Instagram ermöglicht ihm eine Ästhetisierung des Alltäglichen. "Es ist keine Kunst, was ich da mache, sondern hat was mit bewussterem Wahrnehmen zu tun. Es gibt so unglaublich viel Schönheit, die wir nicht wahrnehmen", findet Eisel. Er schreibt derzeit an seinem zweiten Roman. Noch verrät Eisel nicht, worum es gehen soll. Aber man wird sich bald ein Bild davon machen können.

Jens Eisel: Bevor es hell wird. Piper, 208 Seiten, 18 Euro.

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