SST-Theaterpremiere Kein schöner Jux in dieser Zeit

Saarbrücken · Gruselig-witzig und ziemlich widerborstig: Dario Fos Klassiker „Bezahlt wird nicht!“ in der Saarbrücker Feuerwache.

 Vier Zombiefiguren in einer Verelendungskulisse: Thorsten Loeb, Verena Bukal, Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof (v.r.).  

Vier Zombiefiguren in einer Verelendungskulisse: Thorsten Loeb, Verena Bukal, Sébastien Jacobi, Anne Rieckhof (v.r.).  

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Sagen wir nicht, dass wir nicht vorbereitet waren. Ernsthaft konnte keiner erwarten, dass Dario Fos Politfarce „Bezahlt wird nicht!“ (1974) als pure Ablach-Nummer über die Bühne geht. Obwohl sie das Zeug dazu hat; selbst heute noch amüsieren wir uns wie Bolle, wenn die da oben von denen da unten mal so richtig vorgeführt werden. Aber der Klassenkampf-Optimismus des Kommunisten Fo ist halt von vorvorgestern, Agitprop auf der Bühne erst recht, und sein Volkstheater-Stil in der Tradition der Commedia dell’ arte segelt heute schnell in Richtung niedlicher Slapstick.

Doch wenn die Gastregisseurin Johanna Wehner eines offensichtlich nicht sein wollte, dann das: eine brave Dario-Fo-Nachlassverwalterin, harmlos. „Voran!“ rufen fünf Zombie-Gestalten, die wie Blinde über die eingenebelte Feuerwachen-Bühne stolpern, zu Beginn ins Publikum. Völker, hört die Signale einer untergegangenen klaren Weltordnung? Es herrscht Endzeit-Stimmung. Sperrmüll liegt kreuz und quer über der Feuerwachen-Bühne: verstaubte Radiokommoden, kaputte Klimaanlagen, Omas olles Sofa, ein Verelendungs- und Verwahrlosungs-Setting. Bei Fo gähnt Antonias Kühlschrank vor Leere, hier grinsen uns skelettierte Tier-Köpfe entgegen.

Passt diese düstere Ausstattung zur aberwitzigen Versteckspiel-Story, die Fo in einer Spirale absurder Zuspitzungen bis zur Klamotte steigert? Ihr Ausgangspunkt: Antonia hat sich Demonstranten angeschlossen und einen Supermarkt geplündert. Ihr überkorrekter Mann Giovanni darf das auf keinen Fall erfahren, und der Polizist, der auftaucht, gleich gar nicht. Weil Antonia einen Teil der Lebensmittel in einem vorgetäuschten Schwangerschaftsbauch ihrer Freundin Margherita verschwinden lässt, kommt ein irrsinniges Lügen- und Versteckspiel in Gang.

Die Palette reicht von der Baby-Transplantation bis zum erfundenen Fest der heiligen Eulalia mit falschen Bäuchen. Dieser feministisch und sozialistisch aufgemöbelte derbe Jux wird in der Feuerwache aufgefrischt durch einen anarchischen Humor, dem alles Recht ist, auch Geschmacklosigkeiten und totale Sinnfreiheit. Zugleich obwaltet ein Ton der Vergeblichkeit, des Versagens und Verzagens. Dazu passt nur noch Höllengelächter.

Mag die Arbeiterklasse auch verschwunden sein, die soziale Frage ist global ungelöst. Und längst hat die Bonzen-Welt der Gauner und Diebe, der Fo‘s Helden in „Bezahlt wird nicht!“ noch eine lange Nase drehen, ihre moralfreien Muster nach unten durchgereicht, in eine klassenlose „Wer nicht rafft, ist blöd“-Gesellschaft. Dieser gruselige Befund färbt denn auch die Inszenierung ein. Wehner verweigert sich den Komödien-Regeln von Rasanz und Turbulenz. Durch stumme Clownerien und Vorwärtsrückwärts-Sprechen sorgt sie für mitunter enervierende Stauungen, die den Abend nicht eben bekömmlich machen. Doch nicht nur das ist auf imponierend selbstbewusste Art querköpfig, auch Wehners Umgang mit dem Text. Der schreit förmlich nach Aktualisierungen und Improvisationen.

Fo selbst – er war ein Meister des Stegreif-Spiels – hat sie vorgenommen. Doch Wehner fügt immens viel Eigentext ein, auch gibt es nicht selten Texttausch zwischen den Figuren. So wächst der Facettenreichtum. Der „Kettenhund der Macht“ beispielsweise, der Polizist, hat hier nicht nur Beißhemmung, weil er heimlich mit den Demonstranten sympathisiert. Gregor Trakis ist insgesamt ein bisschen schizo, und es ist eine Freude, ihm in die panisch geweiteten Augen zu sehen.

Auch Thorsten Loeb glänzt als Giovanni, zeigt mehr als den überkorrekten Sozialismus-Saubermann, der auf die „subproletarischen Hunde“ schimpft und sich, um dem Polizisten zur Hand zu gehen, selbst ohrfeigt. Das ist kein Ehemann Marke „Ekel Alfred“, sondern ein gutmütiger Charakter. Grundanständigkeit und Überfürsorglichkeit machen ihn privat wie politisch blind. Ein Hallodri wie Luigi muss ihn provozieren. Sébastien Jacobi hat bei Wehner nicht den leichtesten Part. Als Fließband-Arbeiter fühlt er sich nicht nur wie ein dressierter Affe, er zeichnet ihn auch motorisch so: ein tänzelnder Hippie mit Leopardensöckchen in den Sandalen.

Auch die Mädels sind mit Kunstfaser-Glanz, Flauschjacken und rosa Leggings hübsch scheußlich zugerichtet (Kostüme: Elisabeth Vogetsender). Anne Rieckhof bleibt mit putziger Begriffsstutzigkeit recht dicht am Typus Dummchen, das Fo geschaffen hat, lässt jedoch auch was von der Illoyalität einer klassischen Mitläuferin ahnen. Antonia hat sie angestiftet – bei Fo ein resolutes, kluges Weib, das zuhause sagt, wo‘s lang geht.

Regisseurin Johanna Wehner hingegen lässt Verena Bukal, die einen kühlen Witz hat, zwar stark auftreten, aber dann immerzu ängstlich bei ihrem Mann nachhören: „Hab ich das auch richtig gemacht?“ – Die Unterdrückung hat ihr Werk vollbracht, nicht nur an den Frauen. Und weil die Regie uns mehr als diese Erkenntnis ermöglicht, erübrigt sich die Frage, ob Dario Fo’s Stück heute noch trägt. Davor zieht man den Hut.

 Kein Ehemann Marke „Ekel Alfred“, sondern ein gutmütiger Charakter. Thorsten Loeb als Giovanni.

Kein Ehemann Marke „Ekel Alfred“, sondern ein gutmütiger Charakter. Thorsten Loeb als Giovanni.

Foto: Martin Kaufhold/SST/Martin Kaufhold

Nächste Termine: 3., 7., 8., 16., 20. Dezember; Karten: Tel. (0681) 3092 482 oder kasse@staatstheater.saarland

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