Film und Diskussion in Saarbrücken Kampf gegen das Hintergrundrauschen

Saarbrücken · Der Filmemacher Martin Keßler stellt am Samstag in Saarbrücken seine Dokumentation „Count Down am Xingu V“ vor, die die Umweltzerstörung und Korruption rund um einen Staudamm in Brasilien beschreibt. Wir haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen, die immer schwieriger wird.

 Der Staudamm Belo Monte in Brasilien. Fotos: Keßler

Der Staudamm Belo Monte in Brasilien. Fotos: Keßler

Wasserkraft? Sauber klingt das, erneuerbar, umweltfreundlich. Beim brasilianischen Staudamm in der Doku "Count Down am Xingu V" ist die Realität eine andere: gerodeter Urwald, 40 000 zwangsumgesiedelte Menschen, Fischer ohne Fische, da das Wasser des Flusses Xingu im Amazonasgebiet umgeleitet wird in Richtung "Belo Monte" - des drittgrößten Staudamms der Welt.

Der Filmemacher Martin Keßler hat das Großprojekt in einer Dokumentarfilm-Reihe begleitet. "Count Down am Xingu V" zeigt den Prozess der Flutung, die Auswirkungen auf die Bewohner und die Umwelt, den vergeblichen Widerstand der Opfer und auch der Justiz vor Ort. "Das ist der exemplarische Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft", sagt Keßler. "Wie viel Umwelt ist man bereit zu zerstören, um die Ökonomie wachsen zu lassen?".

In Brasilien werde über den Damm "meist einseitig berichtet", sagt der Filmemacher, "weil viele Zeitungen und TV-Sender mit den Interessen der großen Baufirmen verbandelt" seien. "Die breite Masse ist schlecht informiert" - weshalb Keßler den Film auch in portugiesischer Fassung herausbringt. "Öffentlichkeit schaffen" will er. Etwa für den Widerstand durch den katholischen Bischof Erwin Kräutler, der sich gegen mafiöse Strukturen in der Holz- und in der Bauwirtschaft ausspricht; er ist Träger des alternativen Nobelpreises - und steht seit Jahren unter Polizeischutz. Der Bundesstaat Pará, in dem Kräutler lebt, "ist der Wilde Westen Brasiliens, dort werden Umweltschützer und andere Aktivisten von gekauften Killern einfach umgenietet".

Parteien und große Baufirmen seien in einem "korruptiven Netzwerk" verflochten, sagt Keßler; große Firmen spendeten für Parteien, die dann ihre Projekte unterstützen. In diese Korruption sei auch die sozialdemokratische Partido dos Trabalhadores (PT) eingebunden, die die jüngst abgesetzte Präsidentin Dilma Rousseff stellte. "Das ist das Traurige - die Menschen wissen nicht, wem sie in der Regierung noch trauen können."

Die Recherche ist schwierig. Gegner und Opfer des Staudamms bekommt Keßler leicht vor die Kamera, anders ist es beim Kraftwerksbetreiber. Anfragen würden monatelang ignoriert, dazwischengeschaltete PR-Firmen ließen "einen verhungern. Man will natürlich verhindern, dass Schweinereien ans Licht kommen" - etwa, wie über die Köpfe der Zwangsumgesiedelten hinweg entschieden wird. "Ein autoritäres, autokratisches System." Zwischendurch erfuhr Keßler, dass ein Agent des Geheimdienstes einen Teil seiner Dreharbeiten bespitzelt hat.

Der Filmemacher klingt gelassen, wenn der davon erzählt - das Wort "Skandal" fällt erst im Zusammenhang mit der nicht-existenten Unterstützung seiner Arbeit durch das Fernsehen. Lange Jahre hat er für die Öffentlich-Rechtlichen als TV-Journalist gearbeitet; Interesse an Dokumentarfilmen, wie Keßler und seine Kollegen sie machen, zeigen die aber immer weniger. Ein 3sat-Redakteur habe mit dem aktuellen "Count Down"-Film einen Themenabend machen wollen, parallel und passend zur Olympia-Berichterstattung, "aber er bekam das Thema nicht durch", sagt Keßler. Als er 2006 seine Doku "Kick it like Frankreich" über Studentenproteste dem Hessischen Rundfunk anbot, habe der ihm schriftlich erklärt, schon allein der Titel sei ein Aufruf zur Straßenrevolte und der Film damit unsendbar. "Früher hat es kritischere Redaktionen gegeben", die "Binnenpluralität" im Fernsehen habe abgenommen. Weniger Hintergrundberichte, weniger Sendeplätze für Dokumentationen.

Die Konsequenz: eine stets schwierige Finanzierung und "Arbeitsverdichtung", etwa das zusätzliche Führen der Kamera. Rote Zahlen schreibt er nicht, "dann würde ich das nicht mehr machen, professionelle Arbeit muss sich tragen". Aber leichter wird das Ganze nicht in einer Zeit, in der das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus Keßlers Sicht immer öfter ein "beruhigendes Hintergrundrauschen" produzieren wolle. Immerhin: Stiftungen (Heinrich Böll, Rosa Luxemburg) und Misereor helfen unter anderem aus. Er schätzt, dass bei einem Projekt wie "Countdown" die Hälfte der Arbeit auf das Finanzieren, Anleiern, Organisieren entfällt - der Rest auf die eigentliche Arbeit, das Dokumentieren. Glücklich ist Keßler damit nicht, aber er weiß, dass das nicht nur ihn trifft: "Das ist heute doch im gesamten kulturellen Bereich so."

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Hintergrund Seit 2003 arbeitet der Regisseur an einer Langzeitbeobachtung verschiedener Protestbewegungen. "neueWUT" etwa beschäftigte sich mit Hartz-IV-Protesten, "Das war der Gipfel" mit dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007. red www.neuewut.de

Termin: Samstag ab 15 Uhr im Friedenscafé des Solidariätsbasars im VHS-Zentrum Saarbrücken am Saarbrücker Schloss. Ab 16 Uhr diskutiert der Filmregisseur Martin Keßler und Europaabgeordneter Jo Leinen zu den Themen Solidarität, Verantwortung Europas, Globalisierung und Klimawandel. Moderation: Ulrike Dausend vom Netzwerk Entwicklungspolitik im Saarland e.V.

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