Diskussion um Beuys neu entfacht Joseph Beuys und „viele dunkle Seiten“

Saarbrücken · Die Neuauflage eines Buchs über den Künstler Joseph Beuys (1921-1986) hat eine alte Debatte neu entfacht: Lebte bei ihm das Gedankengut der Nationalsozialisten fort?

 Zu Lebzeiten umstrittener als nach seinem Tod: Joseph Beuys, der zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit gehört.

Zu Lebzeiten umstrittener als nach seinem Tod: Joseph Beuys, der zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Nachkriegszeit gehört.

Foto: dpa/dpaweb/Peter Popp

Schon vor fünf Jahren hatte Hans Peter Riegel (58) mit Joseph Beuys abgerechnet. Riegel, einst Assistent und Privatsekretär von Jörg Immendorff, dann Teilhaber von Werbeagenturen und schließlich Unternehmensberater, hatte damals eine Biografie veröffentlicht, in der er Beuys, den Schamanen vom Niederrhein, als verkappten Nationalsozialisten darstellte. In einer auf drei Bände erweiterten Neuauflage legt Riegel nun nach. Er wirft Beuys vor, dass er sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht von seiner Zeit als Hitlerjunge und Berufssoldat distanziert habe, dass er sich im Gegenteil weiterhin mit alten Kameraden umgeben, ein eigenartiges Germanentum gepflegt und als Künstler lediglich die Ideen des Anthroposophen Rudolf Steiner in plastische Werke umgesetzt habe.

Bereits in der ersten Auflage hatte Riegel zahlreiche Belege beigebracht, doch gewann man als Leser den Eindruck, dass dem Autor der Blick auf den gesamten Beuys fehlt, gerade auf den geläuterten. In einem Interview drei Jahre vor seinem Tod sprach Beuys sich mehrfach für eine freiheitliche Gesellschaft aus und erwies sich einst, mitten im Kalten Krieg, aus heutiger Sicht als unkonventionell zukunftsorientiert. „Wenn ich die Documenta zu machen hätte“, so antwortete er auf eine entsprechende Frage, „würde ich sagen: Hier ist jetzt Gipfeltreffen. Andropow her, Reagan her, die Leute aus Asien her, alles soll kommen. Sie sollen hundert Tage lang über die Weltlage sprechen.“

Der Biograf Riegel hat aber keine Ohren für teilweise widersprüchliche Bekenntnisse und erst recht keine Augen für Beuys‘ Kunst mit ihren zahlreichen Bedeutungsebenen. In dieser Hinsicht rückte der Kunsthistoriker Eugen Blume, ehemals Direktor des Museums Hamburger Bahnhof in Berlin, kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“ manches an Riegels Sichtweise zurecht. „Nach diesen Einlassungen“, so befindet er, „müsste man Museen, die Beuys ausstellen, fragen, warum sie nicht die Werke eines vom völkischen Denken, von der herrischen Präferenz des deutschen Geistes beherrschten Künstlers abräumen.“ Und weiter: „Ganz offensichtlich soll dieser Beuys, dessen Stimme immer noch in die evidenten Widersprüche unserer von der Logik des Kapitals getriebenen Welt reicht, als nationalsozialistischer Esoteriker und ,ewiger Hitlerjunge‘ denunziert werden.“

Schon nach Erscheinen von Riegels erster Beuys-Biografie hatte der Filmemacher Rüdiger Sünner, Kenner von Beuys wie auch der rechten Szene, in einem Interview der „Welt am Sonntag“ darauf hingewiesen, dass Beuys aus Quellen schöpfte, die man als idealistisch, keinesfalls aber als nationalsozialistisch bezeichnen könne: „Wenn man das genau liest, entdeckt man starke Bezüge zur Romantik und zur romantischen Naturphilosophie. Und das ist für mich das eigentliche Bindeglied von Beuys in die Vergangenheit und in die deutsche Geschichte – und nicht der Nationalsozialismus oder die völkischen Bewegungen. Es ist die Zeit von Goethe, Schelling und Novalis, in der ein Naturbegriff geprägt wurde, der die Natur nicht als leblose Rohstoffhalde betrachtet, sondern als einen von geistigen Kräften beseelten Raum. Dieses Erbe wirkt bei Beuys weiter.“

Ja, Beuys war ein Magier, ein Zauberer, ein Schwebender zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem, ein konservativer Revolutionär, kurz: einer, der sich schwer verorten lässt. Solche Gestalten ziehen kritische Aufmerksamkeit auf sich, und es ist nur recht und billig, wenn man auch auf „Beuys vor Beuys“ blickt, auf seine 24 Lebensjahre bis zum Ende der Nazi-Diktatur.

Da ist Riegel allerdings nicht der Erste. Der Kunsthistoriker Benjamin Buchloh äußerte schon in den 90er Jahren, dass Beuys sich mit der Mythisierung seines Flugzeugabsturzes auf der Krim, der angeblichen Rettung seines Lebens durch Tataren, den Verdrängungsprozessen der Nachkriegszeit angeschlossen habe. Ron Manheim, ehemaliger stellvertretender Direktor des Museums Schloss Moyland, hatte 2009 auf das schwierige Verhältnis zwischen Beuys und Nationalsozialismus hingewiesen und 2012 in einem Schreiben an die Fraktionen und den Oberbürgermeister von Krefeld davor gewarnt, einen Platz nach Beuys zu benennen. Beuys habe „in seinem politischen Denken viele dunkle Seiten“.

Das ist unbestritten. Allerdings lässt sich das über fast alle großen Denker, Dichter und Künstler sagen. Man muss sich damit auseinandersetzen, darf sie aber nicht auf ihre dunklen Seiten reduzieren. Beuys war Bentley-Fahrer und zugleich „dä Jupp vom Niederrhein“, er lebte in einem selbstentworfenen künstlerischen Kosmos und war zugleich Familienmensch, er genoss seinen Ruhm und war doch bereit, beim Aufbau seiner „Hirschdenkmäler“ 1982 in Berlin jedermann den Sinn der Installation zu erklären. Als er starb, der lange Gescholtene und Belächelte, galt er vielen seiner Kritiker auf einmal als Jahrhundertkünstler.

 Beuys

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Foto: Riverside Verlag

Hans Peter Riegel: Beuys – Die Biografie. Riverside Verlag, 3 Bände, 1100 Seiten, 46,80 Euro.

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