Ist das Kunst oder ist das strafbar?

Bochum · Liegestütze auf dem Altar, eine prügelnde Jesusmutter oder eine nackte Bürgermeisterin: Eine Schau in Bochum beschäftigt sich mit „Kunst und Strafrecht“.

 Eva & Adele, hier im Weltkulturerbe Völklinger Hütte 2012, bezeichnen sich als Werk der Bildenden Kunst, das urheberrechtlich zu schützen sei. Vor Gericht konnten sie sich damit aber letztlich nicht durchsetzen.Foto: Iris Maurer

Eva & Adele, hier im Weltkulturerbe Völklinger Hütte 2012, bezeichnen sich als Werk der Bildenden Kunst, das urheberrechtlich zu schützen sei. Vor Gericht konnten sie sich damit aber letztlich nicht durchsetzen.Foto: Iris Maurer

Foto: Iris Maurer

"Was darf Satire? Alles!" Ein bekannter Ausspruch des Schriftstellers Kurt Tucholsky, der immer wieder zitiert wird, wenn die künstlerische Freiheit ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät - wie jüngst der Moderator Jan Böhmermann (gerade geeehrt mit dem Deutschen Fernsehpreis) mit seinem Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Passend dazu zeigt die Universität Bochum derzeit die Ausstellung "Kunst und Strafrecht".

Zum Thema "Gotteslästerung" präsentiert sie eine Abbildung des Gemäldes "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen André Breton, Paul Eluard und dem Maler" von 1926, das in Paris bei seiner ersten Ausstellung einen Skandal auslöste - weniger wegen der prügelnden Maria, sondern weil dem Jesuskind dabei der Heiligenschein herunterfällt. Als das Bild des Malers Max Ernst kurze Zeit später in Köln gezeigt wurde, erzwang der Kölner Erzbischof die Schließung der Ausstellung. Heute ist das surrealistische Gemälde im Museum Ludwig in Köln zu sehen.

Was juristisch als Störung der Religionsausübung gilt, ist dabei nicht nur an die Zeit gebunden. "In Polen als katholischem Land wird dieser Begriff anders bewertet als in Deutschland", sagt Dela-Madeleine Halecker, akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie der Universität Frankfurt/Oder. Dort wurde die interessante Schau konzipiert.

Erst kürzlich erregte der Künstler Alexander Karle mit seiner Kirchen-Performance Aufsehen: Er hatte im vergangenen Jahr in der Basilika St. Johann in Saarbrücken 27 Liegestütze auf dem Altar gemacht. Jetzt wurde er vom Amtsgericht Saarbrücken zu einer Geldstrafe von 700 Euro wegen Hausfriedensbruch und Störung der Religionsausübung verurteilt (wir berichteten). "Wenn ein Altar einer Turnmatte gleichgesetzt wird, wird objektiv eine Missachtung zum Ausdruck gebracht", so die Richterin. Karle wollte mit seiner Aktion, die er für eine Ausstellung auf Video aufgenommen hatte, Entwicklungen in der katholischen Kirche und der Gesellschaft mit kritisieren.

Für die Kunst wird sich auch gerne ausgezogen: Ernst Wilhelm Wittig zum Beispiel wurde als Flitzer Ernie aus Bielefeld auf Deutschlands Fußballplätzen bekannt. Auch in Supermärkten oder auf dem Fahrrad tritt er nackt auf. 1995 untersagte ihm die Stadt Herford mit einer Ordnungsverfügung, sich in der Öffentlichkeit ohne Kleidung zu präsentieren. Wittig klagte dagegen, betrachtet er doch seinen Körper als Kunstwerk und sieht sich als Interaktionskünstler. Das Oberverwaltungsgericht Münster wies seine Klage ab. "Auch bei großzügigem Verständnis der begrifflichen Anforderungen ist nicht erkennbar, dass das Verhalten des Klägers den Bereich des künstlerischen Schaffens zugerechnet werden könnte. Dem bloßen Nacktsein des Klägers ist keinerlei schöpferische Ausstrahlungskraft eigen", so die Begründung. Seitdem ist Wittig mehrfach zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden, unter anderem wegen Hausfriedensbruch und der Erregung öffentlichen Ärgernisses.

Auch das Performance-Paar Eva & Adele hat die Gerichte Ende der 80er Jahre mit der Frage beschäftigt, ob es ein lebendes Kunstwerk sei. Beide sind stets kahl rasiert, gleich geschminkt, aufwendig in identische Frauenkostüme gekleidet. Stets treten sie gemeinsam auf, immer verkleidet. Ihre Haltung: "Wo immer wir sind, ist Museum." Das Hamburger Landgericht gab ihrer Klage um Bildrechte statt und folgte der Argumentation des Künstlerpaares, dass es als Werk der Bildenden Kunst urheberrechtlich geschützt sei. Das Landgericht wies diese Argumentation in der Berufung zurück.

Weiteres Beispiel: Die Künstlerin Erika Lust malte 2009 das Bild "Frau Orosz wirbt für das Welterbe", in dem sie den Einsatz der Dresdner Oberbürgermeisterin für den Bau einer neuen Brücke über die Elbe kritisiert - Dresden verlor wegen dieser Brücke den Unesco-Welterbetitel. Auf dem Bild ist Orosz fast nackt mit Strapsen und Amtskette zu sehen. Die Oberbürgermeisterin klagte dagegen, weil sie sich entwürdigt dargestellt fühlte - und bekam vom Landgericht Dresden Recht. Es drohte der Malerin bei weiterer Verbreitung des Bildes mit einem Ordnungsgeld von 250 000 Euro. Das Oberlandesgericht Dresden kassierte das Urteil, sprach von einer satirischen Darstellung und hob den Vorrang der Kunst- und Meinungsfreiheit über die Persönlichkeitsrechte hervor.

Was darf Kunst also tatsächlich? Um 1900 konnten Kunsthändler für Postkarten mit nackten Motiven von Malern wie Rubens wegen Pornographie angeklagt werden. Mit dem Grundgesetz von 1949 ist die Kunstfreiheit umfassender geschützt. In den letzten Jahren haben laut Halecker deutsche Strafgerichte zunehmend zu Gunsten der Kunstfreiheit entschieden - doch es bleibt eine Unsicherheit. Uwe Scheffler, Professor für Strafrecht an der Viadrina: "Wenn es um Kunst geht, kann niemand sicher sein, wie ein Prozess ausgeht!"

Zum Thema:

Hintergrund-Texte und Bilder im Internet Ausstellungstafeln und Hintergrundtexte zu der Ausstellung finden sich reich bebildert unter www.kunstundstrafrecht.de Die Schau läuft bis 25. Februar in der juristischen Fachbibliothek der Uni Bochum.

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