Legendäre Schauspielschule Im Talentschuppen der Spielwütigen

Berlin · Nina Hoss, Jan Josef Liefers und der scheidende Saarbrücker „Tatort“-Darsteller Devid Striesow: Viele Schauspieler haben an der Ernst-Busch-Schule in Berlin ihr Handwerk gelernt. Ein Besuch in der „Busch“, die bald umzieht.

 ARCHIV - 14.01.2014, Berlin: Ein Kuppelreliquiar (Ende 12. Jahrhundert) ist im Bode-Museum zu sehen.  Der Streit um die Herausgabe des Welfenschatzes durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) geht weiter. (zu dpa «Rechtsstreit um Welfenschatz geht weiter - Klage in USA zugelassen» vom 10.07.2018) Foto: Stephanie Pilick/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

ARCHIV - 14.01.2014, Berlin: Ein Kuppelreliquiar (Ende 12. Jahrhundert) ist im Bode-Museum zu sehen. Der Streit um die Herausgabe des Welfenschatzes durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) geht weiter. (zu dpa «Rechtsstreit um Welfenschatz geht weiter - Klage in USA zugelassen» vom 10.07.2018) Foto: Stephanie Pilick/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Foto: dpa/Stephanie Pilick

Sie tragen Mantel und Degen, die Luft riecht streng nach Turnhalle. Alexandros und Yanina duellieren sich. „Ihr macht den Angriff zur Second“, ruft der Lehrer der Gruppe zu. Die nächste Übung. Die Mäntel wehen, die Klingen klirren. „Du hast mich zweimal abgestochen“, sagt Alexandros. Er lacht. Es ist eben alles nur Theater.

Alexandros Koutsoulis (22) und Yanina Cerón Klewer (23) lernen Fechten – traditionelles Bühnenhandwerk. Die beiden sind Schüler an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Gut möglich, dass sie einmal am Burgtheater, auf der Berlinale oder bei Netflix zu sehen sein werden. Die „Busch“ ist eine der ersten Adressen für Schauspieler, ihr Ruf legendär. 1100 Bewerbungen gibt es jedes Jahr, 25 werden genommen. Jan Josef Liefers, Julia Jentsch, Devid Striesow, Sandra Hüller, Karoline Herfurth, Lars Eidinger, Henry Hübchen, Corinna Harfouch waren dort – und noch viele andere, die man aus Film und Fernsehen kennt.

Wie viel Schweiß und Zweifel dazugehören, hat Regisseur Andres Veiel 2004 in seiner Langzeit-Doku „Die Spielwütigen“ erzählt, die den Nachwuchs über sieben Jahre begleitete. „Ich könnte nie in ein Büro gehen“, sagt darin Constanze Becker, damals 19 Jahre alt. Ein paar Jahre später wurde sie zur „Schauspielerin des Jahres“ gekürt.

Die Schule sitzt wie noch zu DDR-Zeiten in Niederschöneweide draußen an der Spree. Es ist ein in die Jahre gekommener Zweckbau mit Resten von Ost-Charme. Innen riecht es nach altem Linoleum. Im Garten sieht es zwischen kaputten Plastikstühlen, leeren Flaschen und Tischtennisplatte aus wie nach einer WG-Party. Mit Klebeband und Sinn für Ironie hat jemand „Hollywood“ an die Fassade geschrieben.

Die „Busch“, das ist ein Stück Ost-Stolz, der auch an den Theatern von Berlin bis heute mitschwingt. Die Geschichte der Schule geht bis 1905 zurück, als der Intendant Max Reinhardt die erste deutsche Schauspielschule gründete. Sie hat als eine von wenigen Institutionen aus der DDR die Wendezeit gut überstanden und strahlt weit über Berlin hinaus. Lange wurde um einen Neubau gerungen. Der wird,  wie so vieles in Berlin, später fertig und mit 44 Millionen Euro deutlich teurer als geplant. Im August ziehen Schauspiel, Regie, Puppenspiel und Tanz unter ein Dach in Berlin-Mitte, dort, wo früher die Opernwerkstätten waren. Rektor Holger Zebu Kluth (56) ist neu im Amt, noch kennt er seine 300 Studenten nicht alle persönlich. „Die größte Baustelle ist die Baustelle“, sagt er. Die vier bisher über die Stadt verstreuten Sparten mit ihrer unterschiedlichen Geschichte sollen zusammenwachsen.

Kluth kommt aus Lübeck. Er war einer der Gründer der Berliner Sophiensäle und leitete zuletzt einen Hamburger Theaterbetrieb. Als er im Oktober 2017 an der Busch-Schule anfing, hatte gerade die MeToo-Debatte um Macht und sexuellen Missbrauch begonnen. Er kommt im Gespräch von alleine auf das Thema, ohne Genervtheit. „Ich finde das interessant.“ Das Konzept von Theaterleuten, dass man Menschen „brechen“ und neu zusammensetzen muss, damit sie Großes leisten, hält Kluth für 70er Jahre und passé. Er fragt sich auch, was die MeToo-Debatte bei den Stadttheatern auslöst, bei „diesem Apparat, den sich alte weiße Männer aufgebaut haben, um Macht auszuüben“.

Zu lernen, wie man sich auf der Bühne verhält, ist eine sehr körperliche, manchmal peinliche, manchmal knisternde Sache – so hat es der Schauspieler Joachim Meyerhoff mal beschrieben. Kluth sagt, die Studierenden könnten damit gut umgehen. „Problematisch wird es erst in dem Moment, wenn all die Formen von Körperlichkeit mit einem Machtgefälle verbunden sind.“

Die klassischen Theaterstoffe haben Männer geschrieben. Es gibt Szenen, in denen Frauen geschlagen und vergewaltigt werden. Kluth wirft die Frage auf, wie Studentinnen mit diesen Opferrollen umgehen sollten, ohne dass der Text auf Krampf modernisiert wird. „Wie spiele ich die als junge Frau von heute, aus einer kritischen Haltung heraus, ohne die Wörter wie in einem Kinderbuch zu ändern?“ Eine Aufgabe für die Schule könnte seiner Meinung sein, Texte zu erarbeiten, die ein anderes Frauenbild haben. Kluth leitet die Schule in der Zeit der Generation Instagram. Er hat gehört, dass die Fernsehsender die Schauspieler auch nach der Zahl der Follower besetzen. Das bringt Quote, wenn jemand im Netz bei seinen Fans für einen Film wirbt. Und es sind die Zeiten von Netflix, Amazon und Serienhype. „Da entwickelt sich ein interessantes Feld von Fernsehschauspielerei.“

Bei solchen Rollen hilft das Bühnenhandwerk. Das wird an der „Busch“ gelehrt, mit Sprecherziehung und Verssprache. Manchmal kommen die Studenten erst um 11 Uhr abends nach Hause. Schauspieler wird man nicht ein bisschen. Es ist ein „Alles-Oder-Nichts-Beruf“, wie Alexandros Koutsoulis bei der Fechtstunde erzählt. Der Sportraum schwingt vor Energie. „Was wir haben, ist wie ein Erwachsenenkindergarten“, sagt Yanina Cerón Klewer über die Schule. Sie trägt ein T-Shirt mit einer Ansage: „Die Revolution sind wir“ steht darauf.

 Dozent Thilo Mandel (links) zeigt eine Fecht-Übung mit seinem Azubi und Studenten Ulvi Erkin Teke.

Dozent Thilo Mandel (links) zeigt eine Fecht-Übung mit seinem Azubi und Studenten Ulvi Erkin Teke.

Foto: dpa/Annette Riedl

Fechten, das klingt altmodisch. Zumal Nacktszenen heute häufiger sein dürften als Schwertkämpfe. Aber es ist ein Weg, ein gutes Körpergefühl im Spiel mit dem Partner zu bekommen: Wie setze ich die Füße richtig, wie wehre ich ab. „Ich will, dass sie spielen“, sagt Fechtlehrer Thilo Mandel (49). „Es ist Schauspiel ohne Worte.“ Am Ende der Stunde versammelt er die Gruppe um sich. Mandel ist wehmütig. Es ist die letzte Stunde in diesen alten Räumen. Die neuen werden anders riechen, andere Geschichten erzählen. Im nächsten Semester kommt beim Fechten die Kür, sagt Mandel. „Ich freue mich auf euch im neuen Haus – und jetzt raus!“

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