„Hühner, Porno, Schlägerei“

Saarbrücken · Vier Comic-Künstler im Podiumsgespräch, eine Masterclass für Studenten, begleitet von einer Ausstellung: Die Hochschule für Bildende Künste Saar (HBK) hat zum sechsten Mal ihr Comic-Symposium veranstaltet – diesmal im KuBa am Eurobahnhof.

 Eine Seite aus Mawils witzigem Ostberlin-Comicband „Kinderland“. Foto: Reprodukt

Eine Seite aus Mawils witzigem Ostberlin-Comicband „Kinderland“. Foto: Reprodukt

Foto: Reprodukt

Ein Motto gab es diesmal nicht. Die Saarbrücker Comic-Symposien vergangener Jahren hatten ja rote Themenfäden gesponnen wie "Autorencomics zwischen Bildgedicht und Graphic Novel" oder "Comic im Raum" - Fragestellungen, die die Künstlergespräche nicht immer beantworteten. Das 6. Symposium am Donnerstag blieb vielleicht deshalb mottofrei und fand für sich den bisher passendsten Ort: Nach Pingusson-Bau, Saarbrücker Schloss, "Jules Verne" und dem HBK-Foyer lud die Hochschule für Bildende Künste Saar diesmal ins KuBa, das Kulturzentrum am Eurobahnhof: nostalgisch im 50er-Dekor eingerichtet und, das war nicht immer so, sehr gut besucht. Der Rahmen stimmte - und der Inhalt?

Moderator Volker Zimmermann befragte vier Comic-Künstlerinnen und -Künstler (zwischen 31 und 40 Jahren alt), wobei die Publikumsfragen sich in Grenzen hielten. Den Angang machte Jakob Hinrichs. In Saarbrücken aufgewachsen, Studium in Berlin, hat er die viel beachtete Schnitzler-Adaption "Traumnovelle" vorgelegt und gerade Falladas "Der Trinker". Eine Adaption im strengen Sinne sei das nicht, erklärte Hinrichs. Denn die Romanfigur Erwin Sommer "war für mich unglaubwürdig", und so verband er die Figur mit der Biografie Falladas und "einer Spurensuche in dessen Leben". Ein Brief aus der Haft an den Sohn habe ihn besonders berührt, nun ist der Teil der Handlung. Die Sprache Falladas habe er nicht bearbeitet, anders als bei der Schnitzlers, die er modernisierte, "damit die Figuren in der Gegenwart ankommen". Anders als viele Kollegen zeichnet Hinrichs seine Werke nicht chronologisch, sondern arbeitet erst die Szenen aus, "die ich am klarsten im Kopf habe". Am Ende steht die Montage.

Die Grundfrage "Sind das überhaupt Comics?" stellte sich bei Sophia Martineck im Falle früher Illustrationen, die an Ali Mitgutschs "Wimmelbilder" erinnern. Einen Tagesablauf zeigt sie anhand mehrerer miteinander verbundener Bilder - aber ohne Sprechblasen und den üblichen Weißraum zwischen den Bildern. Auch ihr Band "Hühner, Porno, Schlägerei" über Leben und Tod auf dem Dorf kommt ohne Sprechblasen aus. Die Frage, ob das nun ein Comic im strengen Sinne ist oder nicht, treibt die Künstlerin nicht um, die ihr Metier per Zufall fand - es war das, was sie am Ende von acht Semestern Kunststudium noch nicht ausprobiert hatte und ihr dann besser gefiel als alles andere.

Aisha Franz pflegt einen Stil, der kindlich und naiv wirkt; im Band "Shit is real" erzählt sie per Bleistift von der Lebenskrise einer Frau, eingebettet in die Alltagswelt einer nahen Zukunft. Das Gespräch blieb etwas unverbindlich - wie überhaupt die Gespräche meist sehr nah an den Werken selbst blieben. Das ist zwar legitim; aber auch über Lebensumstände der Künstler, den Comicmarkt oder den Stand der Akzeptanz hierzulande als ernstzunehmende Kunstform im Vergleich zu anderen Ländern hätte man gerne mehr erfahren; so erzählte etwa Jakob Hinrichs abseits der Veranstaltung, dass sein "Trinker" fast zeitgleich in Frankreich erscheint: mit einer höheren Auflage als hier, wo Fallada viel bekannter ist, aber man einem Comicband wohl weniger zutraut, einen Roman in ein anderes Medium überführen zu können.

Zum Abschluss der dreistündigen Gespräche zeigte der Berliner Mawil Qualitäten eines Alleinunterhalters bei einer lautmalerischen Kurzlesung aus seinem ungemein witzigen Band "Kinderland" über eine Jugend im Ostberlin des Jahres 1989. Über den Rhythmus einer Seite sprach er ("da ist viel Schieben und Kleben, bevor der stimmt") und über die Möglichkeiten der Technik, etwa beim Kolorieren ("dieser magische Knopf bei Photoshop, der alles bunt macht"). Er gab auch einen Ratschlag, wie man Comics von Männern von Comics von Frauen unterscheiden kann: "Bei Männern sind die Autos im Hintergrund oft differenzierter gestaltet als die Personen." Als das Publikum ihn anschließend nichts fragte, fragte er das Publikum nach dem Spielstand Portugal-Polen. Startzeichen für den geselligen Abendausklang. Bei dem konnte man - eine schöne Idee der Kuratoren Joni Majer, Elizabeth Pich und Jonathan Kunz - in einer Lese-Ecke in Comicbänden blättern, die die eingeladenen Künstler zusammengestellt hatten: ihre Lieblingswerke von Kollegen.

Die HBK zeigt in ihrer Galerie die Ausstellung "Her mit dem Himmel" mit Werken von Jakob Hinrichs (Bericht folgt).

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort