Klassik auf Birkhausen Hoch zu Ross zum Konzertgenuss nach Zweibrücken

Zweibrücken/Saarbrücken · Der saarländische Pianist Marlo Thinnes lässt syrische Exil-Musiker in einer riesigen Reithalle spielen: Am 10. Juni lockt wieder „Klassik auf Birkhausen“.

 So ruhig wie auf diesem Bild sieht man den Pianisten Marlo Thinnes eher selten. Er packt seine Projekte meist presto an.

So ruhig wie auf diesem Bild sieht man den Pianisten Marlo Thinnes eher selten. Er packt seine Projekte meist presto an.

Foto: Oskars Lablaiks

Die großen Herausforderungen sind offenbar genau sein Ding. „Leicht ist mir zu einfach“, sagt Marlo Thinnes. Damit meint der saarländische Pianist einerseits seinen täglichen Ritt auf der Rasierklinge des freien Künstlers. Der sich mal vor Konzertanfragen kaum retten kann, mal aber auch bang fragt, wie das Geld für den nächsten Monat reinkommt. Thinnes aber toppt den normalen Wahnsinn gern noch. So hat er kürzlich erst zusammen mit seinem Kollegen Thomas Betz alle Klaviersonaten Beethovens an acht Abenden in der Saarbrücker Musikhochschule gespielt. Das sind 32 an der Zahl! Nicht umsonst titulierte sie der Pianist und Dirigent Hans von Bülow einst ehrfürchtig als „Neues Testament“ der Klavierliteratur. Ein Herkules-Job also selbst für Tastenlöwen.

Aber auch da kann Marlo Thinnes noch draufsatteln. Was man jetzt durchaus mal wörtlich nehmen darf. Der Musiker ist mittlerweile nämlich auch Kulturveranstalter und wandelt bloß für einen Tag eine 850 Quadratmeter große Reithalle zum Konzertsaal um. „Klassik auf Birkhausen“ nennt sich, was nun zum zweiten Mal ansteht. Heißt, dass man am Sonntag, 10 Juni, auf dem Gut nahe Zweibrücken (just an der Einfallstrecke Richtung Fashion Outlet gelegen) etwa das Damascus String Quintett hören kann. Und natürlich auch Pianist Thinnes höchstpersönlich.

Dazu gibt es von morgens 11 Uhr an Reitvorführungen auf dem Gestüt, dessen Geschichte bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts und Herzog Christian IV. von Zweibrücken zurückreicht. Selbst Friedrich der Große soll mal „Ordres“ gegeben haben, dort Zuchtpferde für seine berühmten Thrakener zu erstehen. Auf solchermaßen historischem Boden wird am 10. Juni aber auch eine Sattlerei ihr edles Handwerk präsentieren. Kurzum ein echter Aufgalopp für Pferde- und Klassikfreunde. Doch wie verträgt sich Hufgeklapper wohl mit Tastenzauber? Erst mal gar nicht, gibt Thinnes zu. Als er im Vorjahr die Akustik der Reithalle aushorchte, dachte er zunächst: unmöglich. Tonnen von Kunstsand sind einfach ein zu perfekter Schallschlucker. Doch leicht ist Thinnes ja zu einfach. Also mussten nicht nur Hunderte Stühle, eine Bühne und ein Konzertflügel her, sondern auch ein Boden, der die Akustik adelte. Das wird auch dieses Jahr ein Kraftakt, prophezeit Thinnes. Denn bis 8. Juni braucht man die Halle für den Reitbetrieb – und ab 11. Juni dann wieder. Klar war für den Pianisten aber: Ohne diesen Aufwand geht es nicht. Die Qualität muss stimmen, „die Musik steht im Zentrum“, so Thinnes.

Das Programm beglaubigt das – etwa mit dem außerordentlichen Kammermusikensemble, das der Saarländer verpflichtet hat. Das Damascus String Quintett formiert sich aus Musikern des Syrian Expat Philharmonic Orchestra. Dessen Mittglieder mussten ob des Krieges in Syrien aus ihrer Heimat fliehen. 2015 fanden sie, verstreut auf ganz Europa, im Exil zum Orchester zusammen. Mittlerweile schaut nicht bloß die Fachwelt interessiert auf Orchester wie Quintett. Nach Birkhausen bringen die fünf Streicher Werke junger syrischer Komponisten mit. Marlo Thinnes und seine Frau, die Sängerin Laureen Thinnes-Stoulig, bestreiten dann den zweiten Part des Konzertnachmittags.

Wie aber verfällt man eigentlich auf die absurde Idee, Klassik quasi aus dem Sattel heraus zu versuchen? „Purer Zufall“, meint Thinnes. Uwe Schlote, der Besitzer des Gestüts, sei Gast in einem seiner Konzerte gewesen. Man kam ins Gespräch, Thinnes besuchte mit seiner Familie das Gestüt – und bald kam dieser Man-müsste-doch-mal-Gedanke. Thinnes und Schlote ließ die Idee nicht los. Man entwickelte ein Konzept, suchte Sponsoren und hatte zur Premiere statt der 300 erwarteten Besucher gleich so viel mehr, „dass wir noch viele Stühle reinstellen mussten“. Klar, dass Thinnes weitermachen wollte. Aber irgendwie liegt ihm das Kulturmanagement ja auch in den Genen. Sein Vater war Gründer und Leiter der Musikschule in Ludweiler, einer der größten privaten Musikschulen im Südwesten. 1994 starb der Vater, und Marlo Thinnes sprang 18-jährig in die Bresche, kümmerte sich noch sechs Jahre um die Schule.

Zudem war einer seiner Lehrer an der Saarbrücker Musikhochschule Robert Leonardy, Pianist von Rang und zugleich Patron der Musikfestspiele Saar. Wie der Lehrer so der Schüler? Zumindest nahm sich Thinnes von seinem früheren Lehrmeister die Erkenntnis, dass man als Künstler nicht auf Angebote warten darf, sondern selbst Projekte anstoßen muss. Obwohl es Marlo Thinnes nicht an Optionen als Künstler fehlt. Gerade hat er mit dem renommierten Münchner Geiger Ingolf Turban eine CD eingespielt, die sozusagen als Aperitif zum großen Beethoven-Jahr 2020, dem 250sten des Tonsetzer-Titans, kommen wird. Und mit Blick auf dieses Jubeljahr hat Thinnes noch viel mehr be-Flügel-nde Ideen.

Klassik auf Birkhausen: 10. Juni, Programm auf dem Gestüt ab 11 Uhr, Konzert: 16 Uhr.

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