Buchkritik Halali! Ingrid Nolls Frauen meucheln wieder Männer

Saarbrücken · Selbst geriet Ingrid Noll („Die Apothekerin“) nur einmal in Konflikt mit dem Gesetz. Mit 15 in Bad Godesberg entfloh sie auf dem Fahrrad einer Beleuchtungskontrolle der Polizei. In ihren Büchern dagegen hat sie unzählige Menschen auf dem Gewissen.

 Halali

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Foto: Diogenes

Mit dem neuen Roman „Halali“ kehrt die 1935 in Shanghai geborene Noll nun zurück ins Bonn der 50er Jahre, wo sie einst die Schulbank drückte und studierte. Sie erzählt von der jungen Holda, die sich ihren Lebensunterhalt als Sekretärin im Innenministerium verdient. Mit Freundin Karin zieht sie durch die neue Bundeshauptstadt Bonn, träumt von der Hochzeit mit einem Diplomaten. Bei einem Spaziergang entdecken Holda und Karin im Park einen „toten Briefkasten“: einen Starenkasten mit einem seltsamen Brief darin.

Es stellt sich heraus, dass der stinklangweilige Untermieter, der wie Karin in der Villa ihrer alten Tante wohnt, etwas mit der Sache zu tun hat. Die Mädchen  beobachten, wie dieser „Aktenhengst“ sich mit einem Mann trifft. Als der Tage später tot im Rhein gefunden wird, ist für Holda und Karin die Sache klar: Jäger ist ein Spion. Sie finden herraus, dass er ein Flüchtling aus der DDR ist, der von der Stasi erpresst wird. Gerade als Holda und Karin mal wieder sein Zimmer untersuchen, ertappt er sie. Karin weiß sich nicht anders zu helfen, lässt den Jagdruf „Halali“ erschallen und erdolcht ihren Zimmernachbarn. Was tun? Die Polizei holen? Oder den Leichnam besser im Bonner Kottenforst beseitigen?

Einmal mehr sind es bei Ingrid Noll ganz normale Frauen, die unversehens zu Mörderinnen werden. Aber es geht ihr ja auch weniger um das Verbrechen als vielmehr um die Umstände. Ihre Bücher sind weniger Krimis als Milieustudien. Noll selbst sprach einmal von „Menschengeschichten mit kriminellen Sahnehäubchen“. Schon früher, als sie noch ihrem Mann in der Arztpraxis aushalf, interessierte sie sich für psychologische Gutachten. Auch als Schriftstellerin geht es ihr um die Geschichten hinter dem Fall.

Indem sie aus der Ich-Perspektive Holdas erzählt, die sich im Alter an ihre Jugend erinnert und Enkelin Laura davon berichtet, bricht sie die Vergangenheit an der Gegenwart. Das Buch wird so auch zu einem Generationenroman. Mühsam geht Holda ihren Weg. In den 50er Jahren hat sie es als Frau nicht leicht, so wie auch Noll es in der damaligen Männerwelt nicht leicht hatte. Dass sie in ihren Büchern einen „Herrn der Schöpfung“ nach dem anderen zur Strecke bringt, ist wohl Ingrid Nolls späte Rache.

Ingrid Noll: Halali. Diogenes Verlag, 320 Seiten, 22 Euro.

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