Literatur Glaubt bloß nicht, dass eure Ehe makellos ist

Saarbrücken · Der Journalist Markus Günther hebelt in seinem Romandebüt die vorgeblich heile, bildungsbürgerliche Mittelstandswelt aus.

 Markus Günther: Weiß

Markus Günther: Weiß

Foto: Dörlemann Verlag

Journalisten, die ins Schriftstellerfach wechseln, sind heute keine Seltenheit mehr. Die Liste reicht von Dirk Kurbujuweit und Alexander Osang (beide „Spiegel“) über Birk Meinhardt („Süddeutsche“) bis zu Paul Ingendaay („FAZ“) und Harald Martenstein („Tagesspiegel“). Einer von ihnen ist auch Markus Günther, der von 2009 bis 2011 zwei Jahre lang Chefredakteur der „Augsburger Allgemeinen“ war und inzwischen als freier Korrespondent in Washington D.C. lebt. Unter dem Titel „Weiß“ hat Günther seinen ersten Roman vorgelegt, in dem ihm Erstaunliches gelingt: Über knapp 200 Seiten entfaltet er ein eheliches Kammerspiel, das fast komplett in Form eines inneren Monologs gehalten ist.

Dabei passiert nicht viel in diesem Debüt. Doch was geschieht, genügt, um das Leben von Günthers Hauptfigur Hannah in den Grundfesten zu erschüttern und ihre heile Ehewelt aus den Angeln zu heben. Als sie außerplanmäßig von einem Spaziergang in ihr Haus zurückkommt, sieht sie, wie ihr Mann Jo vor dem Koffer seines dort einquartierten erwachsenen Patenkindes kniet und sich ein weißes Wäschestück ins Gesicht drückt. Ein Slip? Was Jo in Händen hält, bleibt genauso ungeklärt wie sein Motiv. Für Hannah aber tun sich mit einem Mal Abgründe auf, die ihre porentief reine Ehewelt beschmutzen und sie ihren bewunderten Mann, einen anerkannten Architekten und vollendeten Ästheten, mit anderen Augen sehen lassen. Anstatt ihn zur Rede zu stellen, erwägt und verwirft, unterstellt und mutmaßt sie in immer neuen, „Verrat und Heimlichkeit, Abartigkeit und Abgrund“ kombinierenden Gedankenanläufen, ob Jo  „ein ganz Anderer“ ist, als die gepflegte, weitgehend entsexualisierte Rollenverteilung ihrer Ehe sie dies bislang für möglich halten ließ.

Günthers Plot gleicht einer Versuchsanordnung, die darauf abzielt, seiner Hauptfigur den Boden unter den Füßen wegzuziehen, um zu sehen, inwieweit sie wieder Halt zu finden in der Lage ist. Schon auf den ersten Seiten heißt es: „Sie konnte sich auf Jo verlassen! So einfach war das. Es konnte also schlicht nicht sein, wie es schien. Es musste andere Erklärungen geben.“ Auch wenn es sie gibt, wird der Zweifel weiter an Hannah nagen. Als Richterin für Sittlichkeitsdelikte ist sie es gewohnt, menschlichen Abgründen emotionslos zu begegnen, Indizien zu sammeln und sich in routinierter Selbstkontrolle hinter ihrer Ratio zu verschanzen. Wenn Günthers Roman ungeachtet seiner bisweilen an Arthur Schnitzler erinnernden, autosuggestiven Monologstruktur dennoch nicht vorbehaltlos gelungen ist, dann deshalb, weil er Hannahs juristische déformation professionelle über Gebühr strapaziert. Gerichtsnotorische Formulierungen wie „er hatte die Tat mit List und krimineller Energie vorbereitet“ ziehen sich wie ein roter Faden durch das Buch und schmälern in ihrer Holzschnitt­artigkeit sein ansonsten gekonnt in der Schwebe gehaltenes Kopfdrama.

Sieht man von dieser überspannten juristischen Diktion ab, gelingt Günther das filigrane Porträt einer distingierten Mittelstandsehe. Im Entree des wie ihre wohlaustarierte Beziehung bis ins letzte Detail durchgestylten Hauses hängt ein Gemälde von Louis Fontana, das als große Romanmetapher taugt: Seine blütenweiße Leinwand ist, wie man das von Fontana kennt, vertikal durchschnitten. Nicht anders ist auch die vorgebliche Makellosigkeit dahin. Lässt sich der Riss, der sich aufgetan hat, nicht mehr schließen. Indem Günther im Weiteren daraus Jos (an Kandinsky und Josef Albers geschulte) ästhetische Theorie der Farbe Weiß herausdestilliert, gewinnt sein Roman eine kunstphilosophische Tiefe, die die unerhörte Begebenheit zu Beginn in anderem Licht sehen lässt.

Markus Günther: Weiß. Dörlemann, 191 Seiten, 20 €.

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