Festival Perspectives: „L’Avare“ Geiz macht nicht geil, sondern neurotisch

Saarbrücken · „Der Geizige“, kühl-komisch: „L’Avare“ von Molière bei den Perspectives war ein fabelhafter Festivalbeitrag.

 Und dann auch noch die Polizei im Haus: Laurent Poitrenaux (sitzend) als der Geizige, gleichzeitig Brutalo, Gockel, Cowboy und Haustyrann.

Und dann auch noch die Polizei im Haus: Laurent Poitrenaux (sitzend) als der Geizige, gleichzeitig Brutalo, Gockel, Cowboy und Haustyrann.

  Anders als deutsche Regisseure, denen  Inhalt und Sprache großer Komödien oft nur als Trampolin für eine Zappelphilipp-Show dient, nähern sich französische Kollegen ihren Lustspiel-Juwelen in der Regel mit einem höflichen Diener. Bei Gastspielen der Comédie Francaise bei den Perspectives  war dies bereits zu erleben. Doch die Franzosen, sie können auch anders –  unkonventionell.  Das bewies das Molière-Gastspiel der Comédie de Reims, einer exzellenten Schauspielertruppe, die den Freitag- und Samstagabend im Forbacher Carreau zu einem seltenen Fest der Sprechkultur machten.

Kaum je erlebte man den „Geizigen“ (1668) derart durchlässig fürs Heute. Regisseur Ludovic Lagarde schießt  das Stück aus dem brokatglänzenden Rokoko-Salon direkt zu uns herüber, in unsere Internet-Konsum-Warenwelt. Sein Harpagon –  superreich und ein Sparfuchs zugleich –   haust in einer mit Kisten zugeballerten  Lagerhalle. Ein Holz-Container dient als Küche in einem Haushalt, in dem Sekt aus Spargründen in Schnapsgläschen serviert wird. Aus dem Helden formt Lagarde einen von Verfolgungswahn auch körperlich durchgeschüttelten  Haustyrannen, das Gewehr im Anschlag. Nein, hier ist der Geizige kein harmlos durchgeknallter, bedauernswerter Charakter, sondern ein  übergriffiger Brutalo, der Mitarbeiter und Kinder nicht nur körperlich bestraft, sondern demütigt, etwa durch rektale Leibesvisitationen.

Der  virtuose Laurent Poitrenaux  führt Harpagon als bizarre Mischung  aus Gockel und Gorilla, Cowboy und Clown vor. Beinzittern, Handzucken, Schüttel-Attacken – wie ein Knetmännchen formt Poitrenaux  physisch seine Figur. Geld, das man zum Fetisch erhebt,  macht nicht nur nicht glücklich, sondern einsam und neurotisch; das ist keine überraschende Lesart dieses  zeitlos weisen Stückes, aber sie wurde selten so kühl-komisch serviert.

Außerdem liefert uns Molière auch noch einen köstlichen Wirrwarr, einen Liebes-Intriganten-Stadl. Die Herzen schlagen wild im Hause Harpagon. Sohn Cléante (Tom Politano) liebt die nicht standesgemäße Mariane (Marion Barché), die wiederum an Harpagon verkuppelt werden soll. Tochter Elise (Myrtille Bordier) hat sich heimlich mit dem  Diener Valère (Alexandre Pallu) verlobt, der um sich eine beispiellose Schleimspur der Unterwürfigkeit zieht. Hinzu kommt Frosine (Christèle Tual), hier eine Businessfrau mit Rollkoffer, eine wankende Sexappeal-Fregatte.

Doch bei Lagarde packt niemand die übliche Slapstick-Keule aus, der Witz ist sarkastisch, subtil-böse, die Sprache üppig, die Gesamtanmutung dennoch schlank, pur, brut. Denn Lagarde braucht keinen Videobild-Bombast, keine musikalischen Mätzchen. Er zieht einfach nur eine Grundidee durch und sagt, was gesagt werden muss: Werdet euer Geld los, gebt es aus, verschenkt es! Denn die Geizigen verhungern im Wohlstand, emotional und menschlich.

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