Freiheit ist viel besser als Schnaps

Püttlingen · Tagsüber glühten die Fans mit Bier vor, abends erwarteten sie am Freitag beim Rocco del Schlacko dann Clutch, Jennifer Rostock, Boysetsfire und die Fantastischen Vier. Eindrücke von Tag 2.

Dicht an dicht stehen die Zelte auf dem Rocco del Schlacko. Aus der Ferne sehen sie wie kleine, bunte Punkte auf grünem Rasen aus. Die Camper haben sich am zweiten Tag sichtlich eingelebt. Nachmittags sitzen sie noch mit Bierdosen in der Hand auf Campingstühlen und "trinken vor" fürs nächste Konzert, ehe sich dann am frühen Abend immer mehr Leute zu den Bühnen bewegen. Von Weitem hört man schon die raue Stimme von Neil Fallon, Sänger der Band Clutch aus Maryland (USA). Die Bluesrock-Band feiert beim Rocco ihr 25. Jubiläum. Gekonnt. Das Publikum ist zufrieden mit dem energiegeladenen Auftritt.

Deutlich mehr Fans drängen sich, als Jennifer Rostock auf die Bühne stürmt. In ihrem pink-blauen Outfit - an einen Bikini erinnernd - singt die Rockröhre "Schön in jeden Ausschnitt speicheln, auch nicht schmeichelnd. Aber knappe Outfits geißeln - irgendwas ist immer." Vom Himmel fallen unterstützend Papierschnipsel statt Regentropfen wie am Vortag. Zwischen den Songs fordert sie immer wieder das Publikum auf, noch einen Schnaps zu trinken. Aus ihrem neuen Album, das im September erscheint, hat sie einen Song mitgebracht. "Egal wo wir geboren sind, jeder sollte die gleichen Chancen haben", ruft Rostock zu Beginn in die Menge. Der eingängige Refrain "ich bin nicht von hier, du bist nicht von hier . . ." über einer Synthesizerlinie klingt noch eine Weile in den Ohren, bis Boysetsfire die Instrumente anstimmen. Von Anfang an gewinnt die Band das Publikum für sich. Sänger Nathan Gray fordert nicht wie Jennifer Rostock zum Alkoholkonsum, sondern zum Einsatz für die eigene Freiheit auf: "I don't wanna sing about freedom anymore. I wanna see it! I wanna feel it!" Die Band unterstützt den Text mit einem plötzlichen Wechsel von einem kurzen, ruhigen, melodischen Teil zu energievollem Hardcore.

Eine gute Einstimmung auf den Headliner: die Fantastischen Vier. Die junggebliebenen Hip-Hopper sind immer noch die Chefs auf der Bühne. Sie boten neue Songs und ältere Klassiker. Überraschend der maßvolle Einsatz berühmter Samples anderer Bands und die Übergänge zwischen den Liedern. Nein, hier wurden keine Phrasen gedroschen. Spätestens als statt Feuerzeugen Handydisplays den Nachthimmel erleuchteten, war auch klar, dass die Fantas mit den Fans den Übergang ins digitale Zeitalter gemeistert haben. Wenn das die Vorsitzenden der umliegenden Wandervereine gesehen haben: Horden marschieren am sonnigen Samstag über alle Wege, die es um Püttlingen herum gibt. So viele Menschen sind am späten Nachmittag schon um das Festivalgelände herum unterwegs, dass Neuankömmlinge gen Süden bis nach Elm fahren müssen, um einen freien Parkplatz zu finden. Es sind Entfernungen, die dazu verführen, die Himmelsrichtung anzugeben.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Line-up, das Konzertprogramm, noch nicht in seine Zielgerade eingebogen; trotzdem kommt einem kurz vor Elm schon Matthias zu Fuß entgegen. Oberkörperfrei. Er hat zwei Tage und zwei Nächte lang, sagen wir, intensiv die Musik der harten Gangart am Beispiel live agierender Bands studiert, mit seinen Freunden Konversation getrieben, sein T-Shirt verlegt und ist jetzt satt. Da ist es ihm auch egal, dass er laut Ankündigung der Organisatoren etwas Großes verpassen wird. Parkway Drive und Limp Bizkit stehen mit ihrem Namen für einen wilden Endspurt ab halb zehn beim "Rocco", manche Fans auf den Sauwasen knabbern schon um 19 Uhr nervös an ihren Fingernägeln. Jasmin und Christian tun's nicht, sind aber noch völlig verzaubert von Razz am Freitag - einer Band, von der sie vorher noch nie etwas gehört haben. So ist es halt, "du musst bei einem Festival einfach offen bleiben", sagt Jasmin und verschwindet in der Menge, um sich die etwas leiseren Stücke von Wanda anzuhören und dem Sonnenuntergang entgegenzudösen.

Parkway Drive macht sie dann alle wieder wach. Die Australier kamen mit der Nacht oder umgekehrt und haben Argumente aus gestrengem Metalcore dabei, die die Leute in den ersten 30 Reihen vor der Bühne pogen lassen, also wild tanzen. Das kann man jetzt gerne als Maßeinheit übernehmen und auf kommende Konzerte anwenden. 30 pogende Publikumsreihen gleich 1 Parkway Drive (PD), wobei die Nu-Metall-Band Limp Bizkit zum Höhepunkt des Abends einen Konzertwert von etwa 1,75 PD erreicht. Aber das auch nur zu Beginn, als alle noch von ihrer Erwartung zehrten.

 Routinierter Headliner-Samstagsdienst: Fanta Vier. Foto: Becker & Bredel

Routinierter Headliner-Samstagsdienst: Fanta Vier. Foto: Becker & Bredel

Foto: Becker & Bredel

Sowieso Limp Bizkit: Zur Musik der Amis haben schon in den späten Neunzigern ganze Studenten-WGs ihre Köpfe durch die Gegend geschleudert, als viele der heutigen Rocco-Besucher noch gar nichts von Limp Bizkit wussten. Und obwohl Sänger Fred Durst, 1970 geboren, sein väterliches Alter hinter Krause-Bart, Kapuze und Hut zu verstecken versucht, geht ihm und seinen zum Teil geschminkten Bandkollegen nach drei Songs merklich die Puste aus. Der Konzertwert von 1,75 PD sinkt. So nutzen die ersten Besucher auch schnell die Gelegenheit, noch vor dem großen Abgang zurück zu ihrem Auto zu kommen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort