Kino Kopf hoch in der kleinen Stadt

Saarbrücken · Der Saarbrücker Filmemacher Philipp Majer hat eine berührende, aber unsentimentale Doku über Pirmasens gedreht. „Die Kleinstadt“ zeigt er am Freitag im Kino Achteinhalb.

 Filmemacher Philipp Majer.

Filmemacher Philipp Majer.

Foto: A. Kern

Damals, in den 1970ern, da hätten manche Pirmasenser „Ami go home!“ an Hauswände gesprüht, erzählt Regina Greizer-Landau und krault ihren dösenden Hund auf dem Sofa. „Aber wenn die Amerikaner heute wiederkämen – das wär‘s.“ Oder eben die Schuhfabriken. Die sind aber auch schon lange weg aus Pirmasens, zusammen mit tausenden von Arbeitsplätzen und 20 000 Menschen, die woanders ihren Lebensunterhalt verdienen. Leerstände gibt es, es bröckelt der Putz  manchenorts – das wissen die Pirmasenser, halten aber dagegen: „Hier ist es wie in Irland, nur ohne Ozean“, zitiert der irische Wirt der Stadt seine Gattin. Und der Pirmasenser Gerald Franz sagt: „Wenn man sich hier nicht wohlfühlt, liegt es an einem selbst.“

Das sind drei der sieben Menschen, die der Saarbrücker Filmemacher Philipp Majer für seine sehenswerte Dokumentation „Die Kleinstadt“ vor die Kamera geholt hat. Sie erzählen von der Heimat Pirmasens, vom Lebensgefühl dort, vom Leben als solchem. Majer (36) kennt die Gegend bestens, er stammt aus Rodalben, ging in der ehemaligen Schuhstadt Pirmasens zur Schule und lebte dort, bis er 20 war. Nostalgie war es aber nicht, was ihn zu seinem berührenden, aber nicht sentimentalen Film „Die Kleinstadt“ bewegte – sondern die Berichte über den Ort, ob nun in der „Süddeutschen Zeitung“ oder bei Stern TV. „Pirmasens muss immer herhalten, wenn es um schlechte Statistiken geht: viele Arbeitslose, niedriges Bildungsniveau, die niedrigste Lebenserwartung bundesweit“. So erschreckend das sei, „so einseitig sind die Reportagen. Man sieht vor allem leere Geschäfte, viele hässliche Ecken, darauf fokussiert man sich.“

 Ein Stadtbild im Grünen: das Plakat mit dem Schlossplatz steht im Pirmasenser Strecktalpark.

Ein Stadtbild im Grünen: das Plakat mit dem Schlossplatz steht im Pirmasenser Strecktalpark.

Foto: Majer/Estragon Film/Philipp Majer

Als Dokumentarfilmer wollte Majer die Stadt anders zeigen: „Genau so, wie sie ist, nicht einseitig, nicht beschönigend, mit den hässlichen Ecken, aber auch den schönen.“ Und vor allem mit ihren Menschen, „denn die kommen in den Reportagen fast nie zu Wort.“ Bei ihm tun sie das und bieten Einblicke in Lebenswelten zwischen Jugend und Alter, zwischen Wohlstand und ärmlichen Verhältnissen. Die Befragten sind dabei durchweg von einem gewissen Trotz beseelt und einer Haltung: immer weitermachen, auch wenn es früher besser war – denn heute ist es nicht so schlecht, wie manche meinen. Da ist etwa  David Drechsler, der, anders als viele junge Leute, die Stadt nicht verlassen hat; er erzählt  von seiner 350-Paar-Turnschuhsammlung, von  Lokalpatriotismus und den Pirmasensern, die „nicht immer einfach sind, aber echt“. Der Psychotherapeut Manfred Adler attestiert den Pirmasensern derweil eine „Stehaufmännchen-Mentalität“ und „Abenteurerblut“: Schließlich bestand die Bevölkerung anfangs vor allem aus Soldaten, die der landgräfliche Stadtgründer einst angeworben hatte. Adler pflegt das satte Grün um sein Haus, „einen der letzten Schuhfabrikantenparks“ und freut sich dran, „denn die Arbeit hört nie auf, das ist das Schöne“.

Für viele andere hat die Arbeit zwischendurch aufgehört. Etwa für Gerald Franz, der sich wieder hochgerappelt hat und in einer Gärtnerei zu tun hat. Aber die Lebensnarben sieht man ihm deutlich an, wenn er vor einem Billigbier sitzt, mit einer „Naturdünger“-Werbemütze auf dem Kopf. Vom Kollaps seiner Ehe erzählt er  und von der Hilfe, die er als alleinerziehender Vater zweier Töchter von der Stadt erfahren hat. Da geht es zwar auch um Pirmasens, aber es ist eine Stärke des Films, dass es auch einfach um Biografien und schwierige Zeiten geht – allerdings ohne zum Sozial-Rührstück zu werden (oder zur Provinz-Verklärung). „Ich stelle niemanden bloß“, sagt Majer, der seine Gesprächspartner vor den Interviews ein paar Mal traf, um Vertrauen aufzubauen. Gefunden hat er sie über seine alten Kontakte aus Pfälzer Zeiten, Freunde gaben Tipps.

Als Langfilm (67 Minuten) war „Die Kleinstadt“ nicht geplant, über den Zeitraum eines dreiviertel Jahres  filmte Majer an 20 Tagen, „das Material ist immer stärker gewachsen“. Als der Film dann in Pirmasens Premiere feierte, war das Interesse enorm: Im Kino mit dem schönen Namen Walhalla lief „Die Kleinstadt“ zwei Mal vor ausverkauftem Haus.

Eine der eindrücklichsten Begegnungen im Film, der viel von der Stadt zeigt (etwa bei einer längeren und mundartsatten Busfahrt), ist die mit Thomas Krauch: Er betreibt, als einer der Letzten, einen  Schusterladen, in dem er sogar aufgewachsen ist – der Laden gehörte schon seinen Vater Günter, mit dem er nun schon lange zusammenarbeitet. Ganz sachlich analysiert Krauch die Lage der Schuhbranche, erzählt, dass die Stadt 90 Prozent dieser Arbeitsstellen verloren hat und schildert die eigene Situation: Früher war man allein mit Reparaturen vollbeschäftigt, heute muss man sich nach der Decke strecken. Der Film zeigt dazu Bilder aus der Werkstatt und ist so auch eine Hommage an das gute alte Profi-Handwerk – und insgesamt eine an eine gebeutelte Stadt, die den Kopf oben behält.       

„Die Kleinstadt“ läuft morgen im Rahmen der Filmwerkstatt des Saarländischen Filmbüros: ab 20 Uhr im Kino Achteinhalb (Sb). Der Regisseur ist dabei und spricht über seinen Film. Informationen:
www.filmbuero-saar.de
www.estragonfilm.de

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