St. Ingbert „Es ist lächerlich und beleidigend“

St. Ingbert · Die Stadtverwaltung St. Ingbert sucht einen Leiter für ihre Musikschule – ehrenamtlich. Hofft sie auf Selbstausbeutung?

 Kein Wunder, dass das Echo auf die Ausschreibung auf der Facebook-Seite der Schule verheerend ist, selbst wenn man die facebooktypische Empörungslautstärke ausblendet.

Kein Wunder, dass das Echo auf die Ausschreibung auf der Facebook-Seite der Schule verheerend ist, selbst wenn man die facebooktypische Empörungslautstärke ausblendet.

Foto: dpa/arifoto UG

Eine leitende Funktion für ein Taschengeld? Die Stadtverwaltung St. Ingbert sucht zum 1. Januar 2018 einen Leiter für ihre Musikschule mit 33 Lehrern und knapp 600 Schülern. Gewünscht wird laut Ausschreibung: eine „innovative Führungspersönlichkeit mit einem erfolgreich abgeschlossenen musikpädagogischen Studium“ oder alternativ einer künstlerischen Abschlussprüfung mit zusätzlicher Leitungs-Qualifikation. So weit, so üblich. Unüblich wird es am Ende der Ausschreibung: „Wir bieten ein interessantes Ehrenamt“, heißt es da, für eine „Aufwandsentschädigung in Höhe von 960 Euro pro Monat“.

Eine kulturelle Leitungsfunktion als Ehrenamt also? Gefordert werden im Gegenzug unter anderem: eine „ständige Weiterentwicklung“ des Konzepts der Schule, eine Kooperation mit der Kulturabteilung, dazu die Konzeption und Planung der Aktivitäten und Entwicklung des Jahresprogramms der Schule.

Außerdem soll der Kandidat, der „Erfahrung im Bereich der Musikschulleitung“ vorweisen muss, eine „Evaluierung und Erweiterung des Unterrichtsangebotes“ erarbeiten und die Kontakte zwischen den Lehrkräften intensivieren. Die Öffentlichkeitsarbeit soll sie/er organisieren, die Kontakte zu Eltern, Schülern und Freundeskreisen der Musikschule pflegen. Das Ziel: „eine stärkere Identifizierung mit der Institution und ein positives Umfeld“. Dazu eine „enge Kooperation mit musiktreibenden Vereinen, Gruppen und Personen“, eventuell auch Unterricht auf Honorarbasis und die Vertretung der Schule intern gegenüber der Verwaltungsspitze und den städtischen Gremien.

Das ist eine ziemlich lange Liste für eine schmale „Aufwandsentschädigung“. Kein Wunder, dass das Echo auf die Ausschreibung auf der Facebook-Seite der Schule verheerend ist, selbst wenn man die facebooktypische Empörungslautstärke ausblendet. Der Tenor ist, dass die Stadt sich hier blamiert, Respekt vor Kunst und Kultur vermissen lässt und auf Selbstausbeutung setzt.

Überrascht von der Ausschreibung ist Matthias Pannes, der Bundesgeschäftsführer des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM): „Das Verhältnis zwischen Aufgabengebiet und Angebot der Stadt St. Ingbert ist indiskutabel“, sagt er auf Anfrage. Zudem passe die Ausschreibung nicht zu einem Ehrenamt. „Wenn die Stadt der Musikschulleitung ein solches Aufgabengebiet zuweist, steht diese Tätigkeit in einem Weisungskontext und ist eindeutig eine abhängige Beschäftigung. Das hat mit Ehrenamt gar nichts zu tun.“ Eine solche Ausschreibung habe er vorher noch nie gesehen, sagt Pannes, „ich kann das im Moment nur für einen Fehler der Verwaltung halten“. In jedem Fall habe „eine solche Schulstruktur keine Chance in unserem Verband“. So sieht es auch Christian Wolf, Musikschulleiter in Süßen (Baden Württemberg), der seine Kritik in einem Offenen Brief veröffentlicht hat, der am Freitag in der Musikschule aushing. Solch eine Stelle als Ehrenamt auszuschreiben, sei „lächerlich und beleidigend“, ein leider typischer Fall der kulturpolitischen Haltung „Kunst ist toll, soll aber nichts kosten“.

Die Stadt St. Ingbert wollte sich am Freitag nicht äußern; die Musikschule, die in der Ludwigschule untergebracht ist, wo statische Mängel den Unterrichtsbetrieb erschweren (ein Umzug in das ehemalige Gefängnis ist geplant), hat aber bereits am Donnerstag auf ihrer Facebook-Seite die Kritik kommentiert: Es gehe „bei weitem nicht um eine Vollzeitbeschäftigung, sondern lediglich um ein Ehrenamt mit einem geringen Stundenkontingent im Monat“. In den vergangenen 40 Jahren hätten die bisherigen Leiter diese Arbeit „lediglich als Nebentätigkeit“ ausgeübt. Die Verwaltungsarbeiten würden von „vollzeitbeschäftigten Kräften bei der Stadtverwaltung“ ausgeübt. Aber wenn das so ist: Warum wird die Schule dann aktuell nicht von einer Person geleitet, sondern, seit 2014, von einem Musikschullehrer-Trio neben ihrer Unterrichts-Arbeit, wohl auch ehrenamtlich? Herrscht hier ein System der erwünschten Selbstausbeutung von Idealisten?

Am Montag will sich die Stadt äußern, die auf ihrer Seite schreibt: „St. Ingbert ist eine Bildungsstadt. Die Musikschule ist hierbei ein wichtiges Mosaiksteinchen“. Reicht es nicht einmal zu einem Stein?

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