Ein Hoch auf das Theaterleben

Saarbrücken · Ab 11. September muss Dagmar Schlingmanns Team beweisen, ob es den Abschiedsmodus überwinden und nochmal richtig Gas geben kann. Gestern versammelten sich die Mitarbeiter, darunter weit über 30 neue, zum letzten Saisonstart ihrer scheidenden Chefin. Die hielt eine emotionale Rede.

 Das Ballettensemble tritt zur neuen Saison nahezu mit neuer Mannschaft an: zehn von 18 Tänzern wurden neu engagiert. Hier eine Szene aus „Cacti" (ab 29. Oktober wieder auf dem Spielplan). Foto: Stöß

Das Ballettensemble tritt zur neuen Saison nahezu mit neuer Mannschaft an: zehn von 18 Tänzern wurden neu engagiert. Hier eine Szene aus „Cacti" (ab 29. Oktober wieder auf dem Spielplan). Foto: Stöß

Foto: Stöß

Es war ein persönliches Bekenntnis. Doch diese Hommage an das Theater könnten sich alle Intendanten-Kollegen hinter den Spiegel klemmen. Und alle, die das Theater lieben, einrahmen. Denn sehr grundsätzlich war diese Ansprache, mitreißend, und sie besaß Tiefe und stilistische Eleganz - Dagmar Schlingmanns letzte Ensemblebegrüßung am Saarländischen Staatstheater zusammen mit ihrem kaufmännischen Kollegen Matthias Almstedt. Der gestrige Tag, der Start in die Proben nach den Theaterferien, war der allerletzte Aufgelopp in eine neue, in Schlingmanns elfte Saarbrücker Spielzeit. Am Ende der Saison 2016/2017, die am 11. September mit einem Theaterfest beginnt, wechselt die Generalintendantin nach Braunschweig. Saß ihr Nachfolger Bodo Busse gestern im Großen Haus? Vielleicht besser nicht. Denn mag es für Schlingmann zwingend sein, das von ihrem Vorgänger übernommene Ritual bis zu ihrem letzten Auftritt durchzuziehen - programmatische Rede, Totengedenken, Jubilarehrung, Vorstellung neuer Mitarbeiter - ihr Nachfolger könnte, sollte sich davon befreien. Das wäre ganz im Sinne der Schlingmannschen Rede. Denn die beschwor den "unverschämten Freiraum", den das Theater biete. Theaterabende führten vor und bewiesen, "dass nichts so sein muss, wie es ist".

Auch Schlingmann selbst nicht. Sie, die weder zu rhetorischen noch pathetischen Feuerwerken neigt und ihre Gefühle ungern auf den Markt trägt, sprang gestern über ihren eigenen Schatten. Erstmals las sie ihre Ansprache ab - es sei eben ein "emotionaler Moment". Denn: "Mir fällt es absolut nicht leicht, zu gehen." Jedoch schilderte sie den Wechsel als eine Art Seelenhygiene: "Ich möchte niemals das Gefühl haben, nicht mehr für mein Theater zu brennen." Der "Zustand der Unruhe, des Ungemütlichseins" habe sie stets begleitet.

Schlingmann bedankte sich bei der gesamten Belegschaft für "Eure Freundlichkeit und Euer Engagement (…) Ihr habt mich durch dick und dünn getragen." Nicht wenige erwähnte Schlingmann auch namentlich, schilderte alltägliche Begebenheiten, beschrieb vor allem Gänsehauterlebnisse als Zuschauerin: "Augenblicke, in denen Künstler über sich hinauswachsen."

Eben jene Momente, so Schlingmann, machten Geheimnis und Magie des Theaters aus, das sich "einer alles vereinnahmenden Verwertbarkeit und Ökonomie" entziehe. "Das Theater kann überraschen, kann Erwartungen über den Haufen werfen, ist unberechenbar." Auch die Arbeitsweise laufe allen ökonomischen Regeln zuwider. Man bastele mit 150 Mitarbeitern mitunter drei Stunden an einem Moment, der in der Aufführung dann fünf Minuten einnehme. "Wie anmaßend ist das. Herrlich! (…) Ist es nicht schön, dass wir unseren eigenen Gesetzen folgen und unserer eigenen Zeit? Ist es nicht schön, dass wir eigene Behauptungen aufstellen, dass wir Perspektiven umdrehen, dass wir Welten erfinden, die vielleicht besser sind als die unsere, dass wir alles dürfen? Böhmen liegt am Meer, das steht so in Shakespeares "Winterreise". Das Theater entzieht sich der Logik und keinen stört es. Herrlich!" - Für Schlingmanns Verhältnisse wahrlich eine überschwängliche Rede.

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